Minsk/Moskau – Erstmals seit der Jahrtausendwende haben bei den Parlamentswahlen in Weißrussland wieder Oppositionskandidaten Abgeordnetenmandate gewinnen können. Das bestätigte noch in der Nacht zum Montag Wahlleiterin Lidija Jermoschina. An der Machtkonstellation im Parlament ändert sich jedoch nichts. 108 der insgesamt 110 zumeist parteilosen Abgeordneten gelten als Anhänger von Präsident Alexander Lukaschenko.

Obwohl Beobachter von einer eher schleppend verlaufenen Abstimmung berichteten, lag nach offiziellen Angaben die Wahlbeteiligung landesweit bei durchschnittlich etwas mehr als 75 Prozent, in der Hauptstadt Minsk war die Beteiligung mit 62,1 Prozent deutlich geringer. Allerdings sind die Zahlen ohnehin mit einiger Vorsicht zu genießen: Immerhin soll fast ein Drittel der insgesamt sieben Millionen Wahlberechtigten die Stimme schon im Vorfeld per Briefwahl abgegeben haben.

Diese Praxis, die großen Spielraum für Manipulationen lässt, ruft seit Jahren Kritik bei der Opposition hervor. Der Chef der oppositionellen "Vereinigten Bürgerpartei Weißrusslands" Anatoli Lebedjko kommentierte dann auch anschließend: "Freie und ehrliche Wahlen, die den OSZE-Standards entsprechen würden, gibt es in unserem Land nicht." An dieser Einschätzung ändere auch die Tatsache nichts, dass mit Anna Konopazkaja eine Kandidatin seiner Partei die wohl größte Überraschung bei der Wahl schaffte, indem sie nicht nur den als Lukaschenko-nah geltenden Kandidaten, Bahnhofsvorsteher Alexander Droschscha, sondern auch die Ex-Präsidentschaftskandidatin Tatjana Karatkewitsch in ihrem Wahlkreis schlug.

Zwei Quotenfrauen

Neben Konopazkaja, einer 40-jährigen Unternehmerin und Juristin, schaffte es nur noch Jelena Anisim als Oppositionelle in die Nationalversammlung. Im Gegensatz zu Konpazkaja war ihr Erfolg prognostiziert worden, nachdem ein Kandidat der Obrigkeit in ihrem Wahlkreis seine Bewerbung zurückgezogen hatte. Die 54-jährige Philologin leitete eine TV-Sendung zur Verbreitung der weißrussischen Sprache.

Lukaschenko zeigte sich mit dem Wahlausgang zufrieden. "Wir haben alles getan, damit es keine Beanstandungen von westlicher Seite gibt", sagte er nach dem Urnengang. Er hoffe nun auf die Normalisierung der diplomatischen, und verbesserte wirtschaftliche, Beziehungen nach dem Ende der Sanktionen. "Keiner will unter Sanktionen leben, weil dies in der einen oder anderen Art Auswirkungen zeigt", räumte Lukaschenko ein. Weißrussland steckt in einer schweren Wirtschaftskrise. 2015 fiel das Bruttoinlandsprodukt um vier Prozent. Auch heuer ist die Flaute spürbar. Minsk hofft auf eine Wiederbelebung der Ökonomie durch westliche Kredite. (André Ballin, 12.9.2016)