Bozen/Innsbruck – Am 30. September ist am Wiener Verwaltungsgericht ein außergewöhnliches Verfahren angesetzt: Fünf Südtiroler Politiker sowie der ehemalige Schützenkommandant Paul Bacher klagen gegen den Negativentscheid der Wiener Magistratsabteilung für Einwanderung und Staatsbürgerschaft (MA35) hinsichtlich Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Denn genau die sei ihren Vorfahren – und damit auch ihnen – durch die Teilung Tirols nach dem Ersten Weltkrieg einst geraubt worden, so die Kläger.

Die fünf Politiker sind dem rechtspopulistischen Spektrum im Südtiroler Landtag zuzuordnen: Sven Knoll, Myriam Atz-Tammerle, Bernhard Zimmerhofer und Christian Kollmann sind Mitglieder der Partei Südtiroler Freiheit und – abgesehen von Kollmann – auch im Landtag vertreten. Pius Leitner ist als Klubobmann der Freiheitlichen Südtirols ebenfalls Landtagsabgeordneter.

Sie wollen mit der Klage dem ihrer Meinung nach mehrheitlichen Wunsch von Doppelstaatsbürgerschaften für Südtiroler Nachdruck verleihen. Im italienischen Staatsbürgerschaftsgesetz stünde dem nichts im Wege, in Österreich sind Doppelstaatsbürgerschaften aber nur in Ausnahmefällen erlaubt. Den Regierungsparteien dies- und jenseits des Brenners werfen die Kläger vor, das Begehren bewusst zu ignorieren.

Tatsächlich verweist man in dieser Frage in Wien gern darauf, dass keine eindeutige Willensbekundung Bozens vorliege. Man werde die Situation erst dann neu bewerten, wenn im Südtiroler Landtag ein entsprechender Antrag eingebracht werde. Umgekehrt beruft sich Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) darauf, dass sich die Begeisterung für dieses Thema in Wien und Tirol in Grenzen halte.

Schützenhilfe erhalten die Kläger von der FPÖ, die den Anwalt für das Verfahren in Wien stellt. Deren Südtirol-Sprecher Werner Neubauer sieht nicht ein, warum "Sportler per Ministerratsbeschluss doppelte Staatsbürgerschaften annehmen können", sie den Südtirolern aber verwehrt wird. "Wir gehen dafür bis zum Höchstgericht", kündigt er an.

Außer von FPÖ kein Rückhalt

Abseits der FPÖ fehlt dem Begehr in Österreich jedoch der politische Rückhalt, wie der Sprecher des Südtirol-Unterausschusses im Parlament, Hermann Gahr (ÖVP), sagt: "Es gab bereits vor Jahren ein solches Ansuchen über eine Bürgerinitiative. Wir kamen damals zu dem Schluss, dass das schwierig ist." Mehr als 20.000 Unterschriften hatte die Bürgerinitiative gesammelt. Die Protagonisten waren dieselben, die nun klagen. Tatsächlich bedürfe es einer Verfassungsänderung, um die nötige Änderung im Staatsbürgerschaftsgesetz durchzuführen. "Doch dafür gibt es keine politische Mehrheit", erklärt Gahr. Neubauer hofft indes auf eine baldige FPÖ-Regierungsbeteiligung: "Es ist nur eine einfache Mehrheit im Parlament nötig. Sobald wir in der Regierung sind, werden wir das durchsetzen."

Paragraf für NS-Verfolgte

Sven Knoll, einer der Südtiroler Kläger, nennt neben dem Gefühl der Verbundenheit zu Österreich auch den Absicherungsaspekt als Grund für das Verfahren: "Im Herbst steht in Italien eine Verfassungsreform an, die eine Zentralisierung des Staates bringen wird. Dadurch ist unser Autonomiestatut gefährdet" – weil Südtirols Autonomie eine ethnische und eben keine territoriale sei. Als Doppelstaatsbürger wäre man klar als österreichische Minderheit in Italien zu identifizieren. Juristisch ist Knoll zuversichtlich und verweist auf den Paragrafen 58c im österreichischen Staatsbürgerschaftsgesetz. Der besage, dass wer die Staatsbürgerschaft aus politischen Gründen habe aufgeben müssen, sie zurückverlangen könne.

Verfassungsjurist Karl Weber von der Uni Innsbruck wundert sich über diese Referenz. Denn besagter Paragraf wurde dezidiert für Opfer nationalsozialistischer Verfolgung geschaffen. (Steffen Arora, 14.9.2016)