Die Formel 1 hat mit Problemen zu kämpfen, kurzfristig wird sich daran wohl nichts ändern.

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Wien/New York – Die Übernahme der Formel 1 durch Liberty Media eröffnet zahlreiche neue Perspektiven. Spekulationen, wonach die Motorsport-Königsklasse nun mit einem speziellen Fokus auf die USA umgekrempelt wird, hat Chase Carey aber bereits zurückgewiesen. "Wir versuchen nicht, den Sport zu amerikanisieren", sagte der neue starke Mann der Formel 1. In vielen Bereichen sind rasche Änderungen ohnehin nicht möglich.

"Ich möchte ehrlich sein, wir haben diesen Schritt nicht wegen Amerika gemacht", bekannte der neue Formel-1-Vorstandschef im Interview mit "Sky Sports News". "Amerika ist eine Möglichkeit. Ich denke, wir können viel mehr tun, aber das ist wahrscheinlich mehr langfristig als kurzfristig", ergänzte Carey.

Schattendasein in den USA

Fakt ist, dass die Formel 1 in der US-Öffentlichkeit praktisch keinen Stellenwert hat. Während die NASCAR-Serie sogar der zweitbeliebteste Zuschauersport nach Football ist, tauchen Formel-1-Nachrichten in der Berichterstattung bestenfalls als Fußnoten auf. Der einzige einigermaßen bekannte Pilot ist – seinen häufigen Ausflügen in die Society-Klatschspalten sei Dank – Lewis Hamilton.

Seit 2012 gibt es nach einer mehrjährigen Unterbrechung wieder einen Grand Prix in den Vereinigten Staaten. Schauplatz ist die Gemeinde Elroy in der Nähe von Austin. Bevor die texanische Hauptstadt zum Zug kam, wurde der US-Grand-Prix bereits in Riverside, Sebring, Watkins Glen, Dallas, Detroit, Phoenix und Indianapolis abgehalten. Auch in Las Vegas oder Long Beach gab die Königsklasse bereits Gas. Nachhaltig durchgesetzt hat sie sich bisher an keinem Ort.

Keine Identifikationsfiguren

Damit das passiert, bräuchte es über mehrere Jahre nicht nur ein Event, sondern wohl mehrere Rennen in einer Saison, um eine zahlenmäßig relevante Fan-Gemeinde heranzuzüchten. Auch mehr Identifikationsfiguren wären wichtig. Der US-Rennstall Haas setzt mit Romain Grosjean und Esteban Gutierrez auf einen französischen und einen mexikanischen Fahrer. Weiters entschied sich Patron Gene Haas aus Kostengründen für ein Chassis der italienischen Firma Dallara und Motoren aus dem Hause Ferrari – nicht gerade ideal, um patriotische Gefühle seiner Landsleute herauszukitzeln.

Die Pläne von Liberty Media sind noch weitgehend ungewiss – von Carey kommt allerdings ein klares Bekenntnis zur europäischen Tradition der Formel 1. "Es wird Zeit brauchen, um das Publikum zu bilden, aber es gibt bereits eine viel leidenschaftlichere Fanbasis, als man das in Amerika wahrnimmt. Ich denke, wir können viel tun, um das zu entwickeln, aber realistisch betrachtet ist es ein globaler Sport. Wir versuchen nicht, den Sport zu amerikanisieren, und wir haben großen Respekt vor seinen europäischen Wurzeln", sagte der Harvard-Absolvent, der in den nächsten Jahren eng mit Bernie Ecclestone zusammenarbeiten wird.

Bewährte US-Methoden

Interessant zu beobachten wird sein, inwieweit die neuen Machthaber dennoch bewährte Elemente des US-Sports einführen werden, um sportlich und finanziell schwächer gestellten Teams gewisse Hilfestellungen zu geben, um ihre Wettbewerbsnachteile zu kompensieren.

Bei der Verteilung der Einnahmen im US-Sport ist es üblich, dass alle gleich behandelt werden oder die Klubs aus kleineren Märkten sogar etwas mehr bekommen. Bei der Rekrutierung der Nachwuchskräfte stellt der Draft-Mechanismus sicher, dass die größten Talente bei den schwächsten Teams landen. So soll verhindert werden, das immer die gleichen gewinnen, was für die Spannung wenig förderlich wäre.

In der Formel 1 hat sich auf Betreiben von Ecclestone eine Oligarchie durchgesetzt. In der Strategiegruppe, die über das Regelwerk bestimmt, sind neben dem Weltverband FIA und dem Rechte-Inhaber nur Ferrari, Mercedes, McLaren, Red Bull, Williams fix vertreten. Und die Topteams streifen über fix vereinbarte Bonus-Zahlungen auch den Löwenanteil des zu verteilenden Geldes ein. Dieses Geschäftsmodell können auch die Amerikaner vorerst nicht zum Einsturz bringen. Denn die im Concorde-Agreement festgeschriebene Aufteilung der Gelder ist noch bis 2020 in Kraft.

Prozessionen statt Action

Dem technischen Wettbewerb sind in der Formel 1 derzeit nur wenige Grenzen gesetzt. Das bevorzugt die privilegierten Teams, die ihren Vorsprung so relativ leicht weiter ausbauen können. Das Paradebeispiel ist die aktuelle Überlegenheit von Mercedes. Während in der NASCAR-Serie fast idente Autos permanente Action liefern, erinnern Formel-1-Rennen oft an Prozessionen – angeführt von zwei "Silberpfeilen".

Der bröckelnde Entertainment-Faktor ist aber nur einer von mehreren Gründen, warum der Formel 1 in ihrem Kernmarkt Europa die Zuschauer wegbrechen und viele Rennstrecken-Betreiber vor dem Kollaps stehen. Vor diesem Hintergrund könnte der Einstieg der in der Unterhaltungsindustrie einschlägig erfahrenen Liberty-Media-Gruppe tatsächlich so perfekt ins Bild passen "wie der Auftritt der US-Kavallerie in unzähligen Western" ("The Guardian"). (APA, 14.9.2016)