"Es geht mir immer darum, das Schubladendenken aus den Spielern herauszuprügeln", sagt Spieleentwickler Johann Ertl.

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"Das Schöne am Trash ist die Narrenfreiheit", sagt Ertl.

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Tochter Laura (rechts) und Ertls Freundin und Projektmanagerin Alina (links) bei der Arbeit an "Into the Ice: Nazis of Neuschwabenland".

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Bild: Father's Island
Bild: Into the Dark
Bild: Into the Ice: Nazis of Neuschwabenland

Wenn ein Spiel mit "Nazizombies und Titten" beworben wird, liegt ein Begriff nahe: Trash. Es ist ein Begriff, der Johann Ertl sehr am Herzen liegt. Der 38-jährige, in Prag geborene Niederösterreicher hat als Gründer des Studios Homegrown Games mit Spielen wie "Into the Dark" und "Father's Island" eine ganz spezielle Nische gefunden – irgendwo zwischen B-Movies, Horrortrash und politischer Subversion.

Das überfordert so manchen Durchschnittsspieler. Ertls mit kleinem Budget und kleinem Team erstellte First-Person-Spiele können in Sachen Grafik, Produktion und Technik bei weitem nicht mit dem Hochglanz der Branche mithalten, aber dafür bieten sie etwas, was dort oft fehlt: Herz, Selbstironie und überraschend hintergründige Storys, in denen Verschwörungstheorien, politische Botschaften und absurder Humor die Hauptrolle spielen. Dass sich die USA etwa mit der Einbürgerung höchster deutscher Nazi-Wissenschafter nach dem Zweiten Weltkrieg ein fragwürdiges Erbe importiert haben, ist ein Gedanke, der nun eben nicht in jedem Gruselshooter zu finden ist.

Video: "Into the Dark" – Gamescom 2012 Trailer
HomegrownGames

Narrenfreiheit

"Das Schöne am Trash ist die Narrenfreiheit", sagt Ertl und grinst. "Weil Trash als weniger ernsthaft wahrgenommen wird, kann ich Dinge einbauen, für die man in der Branche niemals Geldgeber finden würde – vom billigen Schmäh bis hin zur politischen Kritik." Und Ertl kennt die Branche gut; von Anfangszeiten bei JoWood über den Münchner Publisher UIG hat ihn sein Weg zum Wiener Studio Mi'Pu'Mi Games geführt. Dass der Vater einer elfjährigen Tochter zuvor sowohl als Journalist als auch Lehrer gearbeitet hat, 15 Jahre als SPÖ-Gemeinderat im bäuerlich geprägten Wieselburg-Land tätig war und sogar "auf dubiose Weise" in Parapsychologie promoviert hat, macht ihn zum doch recht untypischen Spielemacher.

Aber auch zu einem erfolgreichen: Das Horror-Abenteuer "Into the Dark", 2011 als Prototyp entstanden und 2014 auf Steam erschienen, ist tatsächlich ein kleines Kultspiel. Etwa 100.000-mal hat sich der mehrfach mit Preisen ausgezeichnete Mystery-Horror-Thriller bislang verkauft. Und das fast ohne PR, dafür aber mit einer großen Portion Lust am Trash. "Die englische Synchronisierung der Ultimate Trash Edition, für die wir schon 12.000 Euro ausgegeben hatten, war uns zu professionell", erzählt Ertl. "Deshalb haben wir sie dann weggeschmissen und alles selbst eingesprochen, inklusive österreichischen Akzents." Was es in diese Version geschafft hat, ist dafür der komplette Horrorfilmklassiker "Night of the Living Dead" von George A. Romero, den man sich – "zwischen Zombie-Kasino und Zombie-Puff" – im Spiel in einem Kinolevel vollständig ansehen kann.

Video: The first 6 minutes in "Father's Island"
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Trash bringt Kohle

Obwohl seine Spiele obskure Nischenprodukte sind, klopfen hin und wieder die Großen der Branche interessiert an, erzählt Ertl. "Wenn in einem Review unserer Spiele gesagt wird, dass wir in einem Aspekt besser als dieses oder jenes AAA-Spiel wären, dann meldet sich mit Sicherheit wenig später genau dieses Studio und fragt, ob man nicht einmal zusammenarbeiten sollte." In vielen Fällen ist Ertl daher inzwischen bei großen Entwicklern als Consultant gefragt, und für Mi'Pu'Mi arbeitete er an der erfolgreichen "Hitman"-Serie mit – ein Doppelleben zwischen Hochglanz und Trash.

Das Geld, das so verdient wird, kann man dann in Herzensprojekte stecken. Ein solches ist "Antinomy". Das geplante Action-Rollenspiel soll im Jahr 1892 in einer fiktiven Version des Mittleren Ostens in Jerusalem spielen; im Konflikt zwischen Juden, Osmanen und Arabern im Spiel geht es letztlich um die utopische Vision eines modernen gerechten Staates, eine politische Parabel auf den schier endlosen Nahostkonflikt. Eine Abkehr vom spaßigen Schund?

Ertl winkt ab. "Mit dem noch vorher kommenden 'Into the Ice: Nazis of Neuschwabenland' knüpfen wir an unsere vorigen Spiele an – das führt in die Antarktis, wo die Ururenkel geflüchteter Nazis eine utopische totalitäre Gesellschaft errichtet haben." Der Anspruch bleibt dennoch, bei all dem Spaß auch die Gehirne der Spielerschaft zu fordern. "Es geht mir in meinen Spielen immer darum, das Schubladendenken aus den Leuten zu prügeln", sagt Ertl. "Unsere Spiele sind ein bisschen wie Punk: Sie sind eher kurz, dreckig, machen höllisch Spaß – aber es gibt auch eine Message. Und das Ganze muss uns genauso viel Spaß machen wie den Spielern." (Rainer Sigl, 4.10.2016)