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Videospiele sind weltweit ein Milliardengeschäft. Ihre Aushängeschilder ein fester Bestandteil unserer Kultur.

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Grafik: Der Videospielmarkt in Zahlen.

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Vor etwas mehr als 30 Jahren schien der große, noch junge Traum von den unbegrenzten Möglichkeiten der elektronischen, interaktiven Unterhaltung bereits zu Ende zu sein. Hersteller überfluteten den Markt tonnenweise mit hastig programmierten Werken, in der Hoffnung, von dem neuen und so lukrativen Geschäft mit Videospielen profitieren zu können. Die Blase platzte, schillernde Namen wie Atari verloren ihr Ansehen, und stellvertretend für so viele Ladenhüter mussten hunderttausende Kopien der geschmähten Riesenproduktion "E.T. the Extra-Terrastial" in der Wüste vergraben werden.

Heute ist von dieser Endzeitstimmung nichts mehr zu spüren. Nach drei Jahrzehnten des kreativen Stürmens und Drängens steuert die Videospielindustrie 2016 einem neuen Meilenstein entgegen. Den Prognosen des Marktforschers Newzoo zufolge könnten mit dem Verkauf von Gaming-Software und -Hardware heuer weltweit erstmals 100 Milliarden US-Dollar eingenommen werden. Vor zehn Jahren war der Markt noch nicht einmal halb so viel wert. Eine Summe, die stellvertretend für den wirtschaftlichen Erfolg dieses Mediums steht, aber ebenso für dessen Vielfalt und kulturellen Stellenwert.

Mobile-Revolution

Der rasante Aufstieg ist eng verknüpft mit der IT-Revolution. Vom PC über die Konsole bis hin zu Smartphones dient mittlerweile alles als Spielstation. Und tatsächlich überholen die Einnahmen der Mobile Games 2016 erstmals die Umsätze von PC-Spielen – dicht gefolgt von Konsolenspielen. Das hat seine Konsequenzen: Zum Start des App-Stores noch als Goldgrube für Indie-Studios gepriesen, ist heute kaum noch Platz für Kleinhersteller.

Activision sicherte sich 2015 "Candy Crush"-Entwickler King für 5,9 Milliarden Dollar, Chinas Gaming-Koloss Tencent schluckte im Juli den 200 Köpfe zählenden "Clash of Clans"-Entwickler Supercell für 8,9 Milliarden Dollar. Und zumindest für einen Sommer lang wurde die gesamte Nachrichtenwelt und das Leben auf den Straßen von "Pokémon Go" geprägt. Auch die kleinsten Spiele sind heute ein "Big Business".

Ein Milliardenpublikum

Die Technik und Werkzeuge sind so günstig und skalierbar geworden, dass heute ein 200 Millionen Dollar verschlingendes Team von hunderten Entwicklern einen Milliarden scheffelnden Blockbuster wie "GTA 5" genauso produzieren kann wie ein Ein-Personen-Unternehmen in der Lage ist, Hits wie "Flappy Bird" zu basteln und im Netz an ein globales Publikum zu verkaufen.

Mit Action, Sport, Drama, Abenteuern, Rollenspielen und dutzenden Genres mehr werden bereits über zwei Milliarden Menschen auf dieser Erde mit Games bedient. Von Jung bis Alt, männlich oder weiblich, im Westen oder Osten, Norden oder Süden, überall und in jeder Sekunde erlebt irgendwer auf dieser Welt gerade einen virtuellen Höhepunkt.

In China, das 2016 erstmals die USA als umsatzstärkstes Gaming-Land abhängen wird, spielt man vorrangig Online-Games am PC, während in Japan die Massen verrückt nach portablen Spielgeräten sind und in britischen und amerikanischen Haushalten die Spielkonsole nicht wegzudenken ist. Japans Spielefans sind fast zu zwei Dritteln weiblich, während in China Männer die Spielerschaft dominieren. In Deutschland wiederum halten sich Spieler und Spielerinnen laut dem Bundesverband Interaktive Unterhaltung (BIU) die Waage.

Fließbandinnovation

Dieser grenzenlose Aufschwung ist der Diversifizierung genauso zu verdanken wie der Geschwindigkeit, mit der sich die Branche laufend neu zu erfinden versucht. Für das digitale Zeitalter wegweisende Motivationsmechaniken und Geschäftsmodelle wie Freemium oder Early Access werden wie am Fließband konzipiert und an den Kunden getestet. Was funktioniert, bleibt und kann sich in Formen wie der "Gamification" weit über die Spieleindustrie hinaus entwickeln. Als interaktives Medium nehmen Games eine technologische Vorreiterrolle ein, die nicht nur die Kreation sagenhafter 3D-Welten wirtschaftlich ermöglicht, sondern auch Onlineplattformen und sozialen Medien enormen Zulauf beschert.

Diese Ruhelosigkeit ist der Keim für schier grenzenlose Hypes, die von einer begeisterungsfähigen Kernkundschaft getragen werden. Spielevideos sind auf Youtube nach Musik die zweitmeist gesehenen Inhalte überhaupt. Der Schwede Felix "PewDiePie" Kjellberg, der es mit Spielevideos auf 47 Millionen Abonnenten gebracht hat, ist die erfolgreichste Einzelperson im Netzwerk. Amazon erwarb 2014 für 1,1 Milliarden Dollar mit Twitch ein Live-Streamingportal, das sich überhaupt auf Gaming spezialisiert und es einer ganzen Riege an jungen Unterhaltern erlaubt, vom Vorspielen zu leben. Neben Einzelpersonen sind das mitunter ganze Internetsender wie das Hamburger Projekt RocketBeansTV. 2011 gegründet, stellt die Firma zur 24/7-Beschallung ihrer Seher mehrere Dutzend Sprecher, Kameraleute und Redakteure an und ist so beispielgebend für den Umbruch in der Medienbranche. Werbeetats, die früher zu klassischen Outlets flossen, fließen nun in Sponsored Content, Youtube-Anzeigen oder Produktplatzierungen, für die Shows der sehr oft Gaming-affinen Unterhalter, die einen großen Teil der Einnahmen durch direkte Spenden ihrer Fans generieren.

Phänomen E-Sport

Streamingdienste wie Twitch sorgen dafür, dass Spielen als Sport – E-Sport – sich zum Massenphänomen entfaltet, das laut Newzoo bis 2019 weltweit mehr als eine Milliarde Dollar generieren wird und in das Sender wie ESPN und BBC genauso investieren wie IT-Giganten vom Kaliber Yahoo. Denn das Interesse der Fans ist enorm, was sich nicht zuletzt in den Unsummen an Preisgeldern niederschlägt, die die Community für die jährliche "Dota 2"-Meisterschaft zusammenträgt. Mehr als 20 Millionen Dollar lagen heuer im Topf.

Aus der vor drei Jahrzehnten zerplatzten Blase ist ein enormer Markt gesprossen, dessen potenziell größter Hit noch dazu gerade erst in den Kinderschuhen steckt. VR-Brillen zur Erschließung der virtuellen Realität lassen erahnen, dass die Games von morgen nicht nur immer und überall gegenwärtig, sondern wortwörtlich unmittelbar sein werden. (Zsolt Wilhelm, 27.9.2016)