Unaufgeregt, ruhig, bedächtig: Die Rede von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bildete einen Kontrapunkt zum populistischen Getöse.

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Der Plenarsaal des EU-Parlaments war fast vollständig besetzt. Nach der Rede wurde von dort Kritik laut, vor allem von der EU-kritischen Rechten.

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Es war die zweite Rede zur Lage der Union, die Jean-Claude Juncker vor dem Plenum des EU-Parlaments in Straßburg hielt. Vor einem Jahr hatte der Kommissionspräsident die Krise mit einem Wortspiel auf den Punkt gebracht: Es gebe "zu wenig Europa in der Union und nicht genug Union in Europa". Damals war der Streit um ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro gerade vorbei. Die irreguläre Migration auf der Balkanroute kam erst so richtig in Fahrt. Man hoffte noch auf die EU-Verteilungspläne für Flüchtlinge. Der Brexit war weit weg.

Im Spätsommer 2016 knüpft Juncker nun daran gleich zu Beginn an: "Vieles hat sich nicht zum Besseren gewendet", sagt er, "Europa ist nicht in Topform." Er spricht ruhig, formuliert bedächtig, fast sanft, als er klarstellt, was die an programmatische jährliche Ansprachen des US-Präsidenten an die Nation angelehnte Unionsrede nicht sei: "Wir müssen erkennen, dass wir unsere Probleme nicht mit einer Rede, mit einem EU-Gipfel lösen können." Europa sei nicht die USA, die Union mit ihren Institutionen, Nationalstaaten und Einzelinteressen sei viel komplexer.

Juncker: "Wir sind keine Zerstörer, Nihilisten oder Zertrümmerer"

Europa könne nur funktionieren, wenn alle zusammenwirkten, wenn man "europäische Reden" nicht nur in Straßburg halte, sondern auch in nationalen Parlamenten zu dem stehe, was Regierungen in Brüssel gemeinsam beschlossen haben; wenn EU-Institutionen und Nationalstaaten kooperierten: "Die Bürger wollen konkrete Lösungen. Sie dürfen nicht länger an der Nase herumgeführt werden."

Es ist dies eine Schlüsselpassage. Die Vorwürfe der "Populisten", die EU wolle die Nationalstaaten "plattwalzen" und durch einen Zentralstaat ersetzen, seien falsch. "Wir sind keine Zerstörer, Nihilisten oder Zertrümmerer", sagt der Kommissionspräsident in Anspielung auf Kritik des ungarischen Premiers Viktor Orbán: "Die EU darf nicht zu einem Einheitsstaat werden." Und: "Populismus löst kein Problem. Im Gegenteil: Er schafft Probleme."

Brexit werde EU nicht gefährden

Das als Rahmen, präsentiert Juncker das Arbeitsprogramm seiner Kommission bis Herbst 2017, macht neue Vorschläge: "Die nächsten zwölf Monate werden entscheidend sein", aus "einer in Teilen existenziellen Krise" herauszufinden". Zuerst hoffe er, dass London so bald wie möglich Antrag auf EU-Austritt stelle, damit Verhandlungen beginnen, damit "die Unsicherheit durch den Brexit" rasch beendet werden könnte. Der Brexit werde den Bestand der EU nicht gefährden.

Mehrfach bringt der Kommissionschef ein Hauptproblem ins Spiel: "Die EU ist nicht sozial genug", und "es gibt zu wenig Solidarität, das müssen wir ändern". Für junge Europäer, die sich sozial engagieren wollen, will er die Möglichkeit eines freiwilligen sozialen Jahres in einem EU-Land schaffen. Bis 2020 könnten 120.000 Plätze in einem "Solidaritätskorps" geschaffen werden. Um das Wachstum zusätzlich zu fördern, und damit indirekt die Schaffung von Arbeitsplätzen, schlägt Juncker die Verlängerung des von ihm 2015 initiierten Investitionsfonds (EFSI) vor: Bis 2020 könnten damit 500 Milliarden Euro für Investments mobilisiert werden, in der Folge mehr als 630 Milliarden bis 2022. Zusätzlich soll ein mit 44 Milliarden Euro dotierter "Afrika-Fonds" eingerichtet werden.

Für Handelsabkommen

Stichwort Wachstum: Juncker legt ein klares Bekenntnis zu Handelsabkommen ab. Europa sei im Export in die Welt führend, eine Milliarde Euro Export sei mit 14.000 Arbeitsplätzen verbunden. Zum Ceta-Abkommen mit Kanada "kann es keine Nachverhandlungen geben", lediglich Korrekturen.

Juncker spricht sich dafür aus, die enge militärische Zusammenarbeit der EU-Staaten zu verstärken, um neben der Nato tätig werden zu können, um der europäischen Sicherheit ein Gesicht zu geben. Bis Jahresende soll ein Konzept vorliegen, "Militärfonds" inklusive. Zudem müsse Federica Mogherini eine echte "EU-Außenministerin" werden. Sie solle bei den Syrien-Verhandlungen einen fixen Sitz am Tisch haben.

Was den Schutz der EU-Außengrenzen betrifft, gehe die Arbeit voran, berichtet Juncker. Im Oktober würden 200 Grenzschützer in Bulgarien stationiert. Vorschläge zur Migrationskrise fallen kurz aus: Der Präsident appelliert an die Regierungen der EU-Staaten, selber für eine bessere Verteilung zu sorgen. (Thomas Mayer aus Straßburg, 14.9.2016)