Die Vizegeneraldirektorin der europäischen Verbraucherschutzorganisation, Ursula Pachl, fordert die Möglichkeit zu grenzüberschreitenden Angeboten.

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STANDARD: Ihre Aufgabe ist es, in Brüssel die europäische Politik und Gesetzgebung im Sinne der Verbraucher zu beeinflussen. Was konnten Sie bei der Telekom- und Internetreform erreichen?

Pachl: Wichtig ist, dass die Kommission das Thema Geoblocking aufgegriffen hat. Es ist absurd, dass wir seit Jahrzehnten einen Binnenmarkt haben und es immer noch teilweise unmöglich ist, im Ausland online einzukaufen.

STANDARD: Geoblocking soll bis 2017 aus dem Weg geräumt sein. Was bringt das?

Pachl: Wer online einkauft, stößt in der EU auf hohe Barrieren, wird oft ausgesperrt oder bekommt schlechtere Konditionen. Es ist nicht verständlich, wenn es immer noch heißt, "Wir versenden nicht in ein anderes Land" oder "Wir akzeptieren Ihre Karte nicht". Zehn Prozent aller grenzüberschreitenden Onlinegeschäfte schlagen fehl, weil einige Händler sich weigern zu verkaufen. Das ist unbefriedigend, weil der Binnenmarkt den Verbrauchern zu mehr Auswahl und zu besseren Preisen verhelfen soll.

STANDARD: Konsumentenschutz ist immer eine Gratwanderung, weil er Regeln mit sich bringt, die jemand umsetzen muss. Der heimische Einzelhandel findet das Maßnahmenpaket weltfremd, weil es kleine und mittlere Betriebe überfordere und Versuche abwürge, erste Verkäufe ins Ausland zu tätigen.

Pachl: Die vorgeschlagenen Maßnahmen würden dazu führen, dass es nur in wenigen Fällen gerechtfertigt ist, nicht zu verkaufen. Etwa wenn der Händler zu große Probleme hätte, in ein anderes Land zu liefern. Man gesteht den kleinen zu, dass sie das vielleicht nicht leisten können oder wollen. Es gibt keinen Zwang zum Vertragsabschluss mit einem Verbraucher aus dem Ausland. Schlimmstenfalls muss sich dieser den Transport selbst organisieren. Wichtig ist, dass der Verbraucher das Recht hat, dort einzukaufen. Wie praktisch die Abwicklung ist, ist eine andere Frage. Das ist auch nur ein erster Schritt.

STANDARD: Das hieße also, ich kaufe ein und suche mir einen Paketdienst? Ist das nicht eher für Konsumenten eine Horrorvorstellung?

Pachl: Man muss beobachten, wie sich das entwickeln wird. Die Lieferdienstleistungen sind noch bei weitem nicht so, wie wir das gern hätten. Grenzüberschreitende Paketlieferungen sind extrem teuer. Da muss noch mehr Wettbewerb kommen, damit es für die Konsumenten zu interessanteren Angeboten kommt. Die Kommission hat dazu einen Vorschlag, der noch nicht sehr weitreichend ist. Aber er wird wohl zu mehr Transparenz bei den Preisen führen.

STANDARD: Besteht die Gefahr, dass das nun eine unausgegorene Sache ist? Den Plan zur Neuregelung der Auslandshandykosten zog die Kommission ja jüngst nach heftiger Kritik zur Überarbeitung zurück.

Pachl: Das glaube ich nicht. Es gibt noch einige Fragen, die im Gesetzgebungsverfahren noch geklärt werden müssen und auch können. Händler sind zum Beispiel darüber besorgt, was sie machen, wenn ein Gewährleistungsfall auftritt. Sie sind dann verpflichtet, ein Produkt zu reparieren, und müssten auch die Kosten für das Hin- und-her-Senden übernehmen.

STANDARD: Ein ähnlich großes Thema ist derzeit Volkswagen. Die Situation für die Konsumenten in Europa stellt sich nicht sehr befriedigend dar. Die betroffenen Konsumenten in den USA steigen sehr viel besser aus. Hat da die EU versagt?

Pachl: Die Sache war natürlich ein Riesenskandal. Aber wie darauf vonseiten der Behörden reagiert wird, ist ein genauso großer Skandal. Wir sehen eine Riesendiskrepanz zwischen den USA und Europa. In den USA wurde sehr schnell von der Umweltbehörde reagiert, Sanktionen sind verhängt worden, die Verbraucher konnten sich zusammentun und Sammelklagen einbringen. Die zuständigen Richter haben sehr im Sinne der Verbraucher agiert. Dieses Zusammenspiel von Behörden und Rechtsdurchsetzungsinstrumenten hat dazu geführt, dass die Verbraucher wahrscheinlich korrekt entschädigt worden sind und dass das Unternehmen für diesen Betrug zur Verantwortung gezogen worden ist.

STANDARD: In Europa ist ein Jahr später nicht viel passiert.

Pachl: Für die Verbraucher ist die Situation auf mehreren Ebenen sehr unbefriedigend. In der Frage der Entschädigung ist die Situation in den Mitgliedstaaten völlig unterschiedlich. Die kollektive Rechtsdurchsetzung einer Sammelklage gibt es nur in rund der Hälfte der Mitgliedstaaten, und nur in sehr wenigen gibt es eine Sammelklage, die auch benutzbar ist. Die Österreicher können sich glücklich schätzen, dass sie den Verein für Konsumenteninformation (VKI) haben, der sehr aktiv war, obwohl auch hier ein Sammelklageninstrument fehlt.

STANDARD: Der Ausgang ist allerdings äußerst ungewiss. EU-Kommissarin Vera Jourová hat zuletzt zumindest argumentativ Druck gemacht. Kann das etwas bewirken?

Pachl: Auch EU-Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska hat vor Monaten schon gemeint, die Verbraucher sollen von VW entschädigt werden. Dass sich Frau Jourová nun des Themas annimmt, begrüßen wir. Allerdings hat die Kommission keine Kompetenzen in Bezug auf Sanktionen gegen VW. Die Behörden in den Mitgliedstaaten sind die Einzigen, die berechtigt und auch verpflichtet wären, Maßnahmen gegen VW zu ergreifen, und das passiert nicht.

STANDARD: Alle warten, was die deutsche Behörde tut.

Pachl: Wir sind bestürzt, wie wenig Transparenz es gibt. Die Kommission ist hier eine ganz wichtige Antriebskraft. Ich habe noch von keinem nationalen Minister wirklich lautstark gehört, dass VW zahlen soll. Das ist ein Trauerspiel. (Regina Bruckner, 15.9.2016)