Verbrechen lohnt sich nicht, sagt der Rechtsstaat. Der Tag, an dem Bruce Smith aus Eatonville, einem Nest im US-Bundesstaat Washington, den Glauben daran verliert, ist ein schwüler Donnerstag Anfang Juli.

Smith, 67, Nachtmensch, untersetzt, blaue Augen, unter der Baseball-Kappe eine Glatze, erinnert sich genau. Kurz nach Mittag ist es, sein erster Weg führt ihn an seinen Computer auf dem vollgeräumten Schreibtisch neben der Kochnische. "FBI sucht nicht mehr nach Flugzeugentführer D. B. Cooper", liest er. Er kann es kaum glauben: "Die wollen uns doch für blöd verkaufen!" Auf Unverständnis folgt Wut. Und auf Wut Ehrgeiz.

Denn Smith, der in einem Wohnwagen auf knapp acht Quadratmetern zwischen Gemüsebeeten und Nadelwald lebt, ist kein Mann, der aufgibt. Und auch keiner, der Fragen unbeantwortet lässt. Fragen wie: Kann ein Mensch einfach verschwinden? Ja, sagt das FBI. Nein, sagt er. Oder: Lohnt sich Verbrechen eben doch? "Anscheinend ja", sagt Smith. Nur der Beweis, der fehlt ihm noch.

Bruce Smith tut, was er glaubt tun zu müssen. Er will das Rätsel D.B. Cooper endlich entschlüsseln.
Foto: Marlene Weber

Obsession

Seit zehn Jahren widmet der gebürtige New Yorker, der in seinem Leben schon Psychotherapeut, Strandreiniger und Lokalreporter war, jede freie Minute der Jagd nach einem der letzten Phantome der US-Kriminalgeschichte. D. B. Cooper, Amerikas einziger nie gefasster Flugzeugentführer, gilt vielen im pazifischen Nordwesten der USA als individualistischer Held, der ohne Gewalt 200.000 Dollar Lösegeld – nach heutiger Kaufkraft gut eine Million Euro – einsackte, sich damit per Fallschirm aus dem Staub machte und der geballten Staatsgewalt zu trotzen vermag. Und das seit bald 45 Jahren. Generationen wuchsen mit dem Kinderspiel "Geht raus und sucht D. B. Cooper" auf, auch in der US-Actionserie "Prison Break" kommt er vor. Und so wie Smith hefteten sich seit Anfang der 70er-Jahre ganze Heerscharen privater Glückssucher, darunter auch ehemalige FBI- und CIA-Agenten, an die Fährte des Hijackers, von dem bis heute wenig mehr als ein 45 Jahre altes Phantombild existiert.

Am Abend des 24. November 1971, dem Tag vor dem Thanksgiving-Fest, herrscht Hochbetrieb auf dem Flughafen von Portland, Oregon. In feinem Zwirn, weißem Hemd und mit schmaler, schwarzer Krawatte und dunkler Sonnenbrille besteigt ein Mann, gebucht auf den Namen Dan Cooper, eine Boeing 727 der Northwest Orient Airlines, Flugnummer NWA 305, Destination: Seattle. Sicherheitsvorkehrungen: keine. Ausweise werden nicht kontrolliert, obwohl Flugzeugentführungen in den USA Anfang der 70er-Jahre Routine sind. Fast alle enden unblutig, die meisten in Havanna, Kuba. Zwei Zigaretten, billige Raleigh Filter, raucht der Mann, der später aufgrund des Fehlers eines Journalisten als D.B. Cooper bekannt wird, an Bord; im Aschenbecher neben seinem Sitz, 18 C, drückt er sie aus, ordert Bourbon und Seven-up und reicht einer der beiden Stewardessen einen Zettel, auf dem er das Flugzeug für entführt erklärt und auf die Bombe hinweist, die er in seiner Aktentasche transportiere.

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Das entführte Flugzeug am Flughafen Seattle Tacoma.
Foto: AP Photo

Kurz darauf landet die Maschine am Flughafen Seattle-Tacoma; Beamte bringen das per Funk geforderte Lösegeld und vier Fallschirme; 35 der 36 Passagiere steigen aus, nur der Entführer, die beiden Piloten und eine Stewardess bleiben an Bord. Keine zehn Minuten später hebt das Flugzeug wieder ab, Kurs Süd, Ziel Mexiko City. Zweieinhalb Stunden später die Landung in Reno, Nevada, dem geplanten Tankstopp, doch der Mann, der bis heute nicht zweifelsfrei identifiziert ist, ist nicht mehr an Bord, abgesprungen aus 3.000 Metern Höhe, in die Finsternis der Wälder Washingtons, ohne Schutzkleidung, bei Regen.

Weder ein Sprengsatz noch der Fallschirm werden je gefunden. Und auch Cooper bleibt verschollen. Hundertschaften der Polizei und der Armee durchforsten den Wald. Selbst ein Spezialflugzeug der Luftwaffe findet keine Spur. Bloß einige Geldscheine aus seinem Schatz spült der Columbia River 1980 in die Hände eines Urlauberkindes.

Codename "Norjak"

Beim FBI, das den Fall, Codename "Norjak", im Sommer 2016 nach 44 Jahren, sieben Monaten und 18 Tagen offiziell zu den Akten legt, hegt man vergleichsweise nüchterne Theorien. Wahrscheinlich sei Cooper, der laut FBI-Theorie bei der Air Force tätig war und kurz vor der Tat seinen Job bei einer Zivilfluglinie verloren hatte, schon beim Sprung ums Leben gekommen. Der Fallschirm habe sich nicht geöffnet, weshalb man in all den Jahren in dem riesigen Suchgebiet keine Spuren finden konnte.

Das FBI drehte einen Film über die privaten Ermittler, die die Polizisten bei ihren Recherchen unterstützten. Bruce Smith kam nicht vor.
FBIDOTGOV

Die beiden Zigarettenstummel, die Cooper samt seinen Spuckeresten in den Aschenbecher gedrückt hat, kamen dem FBI im Lauf der Jahre abhanden. "Wenn sie nicht einmal auf DNA-Spuren aufpassen können, wie wollen sie dann den Fall lösen?", sagt Smith zwischen gestapelten Büchern, Zettelwirtschaft und einem ungemachtem Bett in seinem Privatwachzimmer am Rand von Eatonville. Und: "Ich will beweisen, dass D. B. Cooper lebt."

Von Anfang an baten die Behörden die Bevölkerung in dem dünn besiedelten Landstrich um Hilfe, zuletzt 2007, als der Fall neu aufgerollt wurde. Tausende Hinweise von Hobbyforensikern, Amateurpiloten und vorgeblichen Insidern ließen die Akte D. B. Cooper in den Regalen des FBI-Büros in Seattle auf zwölf Meter Breite anschwellen. Der neureiche Nachbar, der verreiste Schwager oder die Pilotin, die früher ein Mann war: Insgesamt 900 Menschen wurden im Lauf der Zeit verdächtigt, Cooper zu sein. Im Fall eines Kriegsveterans, der sich 1995 am Sterbebett selbst der Tat bezichtigt, können die Ermittler jede Beteiligung ausschließen.

Privatermittler Bruce Smith lebt bescheiden in einem Wohnwagen am Rande von Eatonville.
Foto: Marlene Weber

Auf einen anderen Verdächtigen, einen ehemaligen Flugbegleiter und Fallschirmspringer, passt 2007 die Personenbeschreibung nicht. Und auch die dritte heiße Spur zu einer Hobbypilotin, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen und davon gesprochen hat, das 200.000-Dollar-Lösegeld in ihrem Garten versteckt zu haben, löst sich in Luft auf. "In den vergangenen Jahren hat kein einziger Hinweis, den wir bekommen haben, zu einer neuen Spur geführt", sagt eine FBI-Sprecherin. "Wir sind einfach fertig mit dem Fall." Bruce Smith will sich damit nicht zufriedengeben. "Die meisten Menschen glauben, dass die Polizei lange genug gesucht hat und der Fall nun zu einem Ende kommen muss", sagt er. "Ich gehöre nicht zu diesen Menschen."

"Warum mögen Sie Kartoffelchips?"

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Einzig diese halbverrotteten Banknoten sind vom Lösegeld des Highjackers übrig geblieben.
Foto: Foto:Post-Intelligencer, Andy Rogers, File/AP/dapd

"Tor zum Mount Rainier" nennt das Tourismusbüro von Eatonville die 2.800-Einwohner-Gemeinde am Fuß des 4.400 Meter hohen Vulkans, in der Smith, kinderlos, viermal geschieden, seit 16 Jahren lebt, die letzten acht davon im Wohnwagen. Grünkohl, Kartoffeln, Erdbeeren und vier Tomatensorten baut der studierte Biologe, der im Internet eine kleine Lokalzeitung betreibt und ansonsten von staatlichen Lebensmittelmarken lebt, hier in Beeten an. Warum dieses Interesse an einem Flugzeugentführer, nach dem nicht einmal mehr das FBI sucht? "Keine Ahnung, warum mögen Sie Kartoffelchips?", antwortet er. "Ich war immer schon eher der philosophische Typ. Ich wollte schon als Kind wissen, wer Gott ist und ob Gebete wirklich helfen."

Aufgewachsen im New York der 50er-Jahre, bringt Smith seine Teenagerjahre als Pfadfinder und "Teilzeit-Hippie" zu, demonstriert gegen den Vietnamkrieg, verdient Geld, kauft ein Haus für sich, seine Frau und die fünf Stiefkinder. 1990 gerät sein bürgerliches Leben aus der Spur: Smith lässt sich scheiden, bucht einen One-way-Flug nach Yelm im Bundesstaat Washington und verfällt den bizarren Heilsversprechen der Ramtha School of Enlightenment, einer Sekte, die an Zeitreisen, gelenkte Träume und Außerirdische glaubt. Als sich sein Erspartes dem Ende zuneigt, arbeitet er als Bühnenarbeiter bei Rockkonzerten, später heuert er als Reporter bei einem Lokalblatt an. Und als dieses vor zehn Jahren bankrottgeht, findet Smith das Betätigungsfeld, nach dem er so lange gesucht hat. "Ich habe bei einer Flugshow ganz in der Nähe zufällig ein Buch über Cooper gefunden und dachte mir: meine Güte, was für eine Story."

In seinem 70er-Jahre-Wohnwagen, holzgetäfeltes Interieur, Schreibtisch, Bett, Chemieklo, zwei Kochplatten, richtet er sich sein eigenes kleines Ermittlungsbüro ein. Sechs Kunststoffkisten voller Dokumente, die er im Vorgarten mit Planen vor der Feuchtigkeit des Winters schützt, sind sein Archiv. Während andere Privatermittler Gesteinsproben von Coopers möglichem Landungsort analysieren und per U-Boot Marke Eigenbau die Seen und Flüsse der Region absuchen, kommt Smith mit Computer, Festnetztelefon und "meinem großen Maul" aus.

Tagein, tagaus wählt er die Nummern von Verdächtigen, möglichen Zeugen und FBI-Beamten oder sucht sie gleich zu Hause auf, um neue Hinweise zu bekommen. Hinweise, die ihn näher an das Phantom bringen könnten. "Man muss damit leben, dass sich Menschen nicht freuen, wenn man an ihrer Haustür auftaucht", gibt Smith zu. "Andererseits rufen mich bis heute Leute an, um mir von ihren Erkenntnissen zu erzählen." Smith, der sich politisch bei den "progressiven Demokraten" einordnet, ist stolz darauf, dass er nicht nur von seinem stillen Kämmerchen aus ermittelt, wie es die "Schaukelstuhl-Quarterbacks" in den Reihen der Konkurrenz täten.

Unter Druck

Allerdings wird ihm der Druck, den er sich selbst auferlegt, bald zu viel. 2012 erleidet er einen Herzinfarkt, Depressionen folgen, Smith will sich das Leben nehmen, überlegt, von einer Brücke zu springen. "Aber ich war so arm, dass ich mir nicht einmal ein Busticket dorthin leisten konnte", sagt er. Ein Buch, "D.B. Cooper and the FBI", das er unlängst im Eigenverlag herausgebracht hat, hilft ihm durch die Krise. "Eine Zeitlang war es der einzige Grund aufzustehen." Von Zeit zu Zeit berichtet er noch von seinen Erkenntnissen, zuletzt in der Bibliothek eines kleinen Nachbarorts. "Als ich begonnen habe, war die Szene offen und kollegial, bei den Treffen wurde Tequila getrunken und über Frauen gesprochen", erinnert er sich. "In den letzten Jahren hat sich das geändert, jeder ist auf seinen Vorteil bedacht, kaum jemand hat die Eier, mit mir zusammenzuarbeiten."

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Das Flugticket ist der einzige Hinweis auf den Namen des Entführers. Obwohl dort als Vorname "Dan" zu lesen ist, setzte sich in der Berichterstattung nach einem Fehler eines Journalisten "D.B." durch.
Foto: (Foto:Post-Intelligencer, Andy Rogers, File/AP/dapd

Vielleicht deshalb, weil er inzwischen auch innerhalb der bisweilen obskuren Ermittlerszene zu einer Randfigur geworden ist, spätestens seit er begonnen hat, die Methoden der Ramtha-Sekte in seine Suche einzubauen. "Ich bin im Traum im Flugzeug gewesen, habe den Rauch von Coopers Zigarette gerochen, die Männer in ihren Polyesteranzügen und den Koteletten an den Wangen gesehen, doch dann war es zu Ende", sagt er. "In der Szene hat man mich für verrückt erklärt. Aber ich bin sicher, dass Telepathie die Ermittlungstechnik der Zukunft ist."

Smiths These

Auch die Behörden nehmen Smith nicht ernst, beim FBI wird er wiederholt abgewimmelt. "Ich habe zu oft darauf hingewiesen, dass sie Fehler machen", meint Smith. "Alles, was ich will, ist ein Treffen mit dem zuständigen Agenten." Was er ihm sagen würde? "Dass sie seit 45 Jahren eine Kommandoaktion der CIA decken, mit der die Regierung verschärfte Sicherheitsmaßnahmen auf den Flughäfen rechtfertigt." Dass die Ermittlungen jetzt eingestellt wurden, komme den Mächtigen zupass, bleibt er kryptisch. Fragt man ihn, was aus Cooper wurde, wird er konkreter: "Müsste ich wetten, würde ich sagen, dass er Geheimagent war, der das Flugzeug und die Gegend gut kannte und am Boden von Helfern erwartet wurde." Heute lebe Cooper unter anderem Namen in einem CIA-Altersheim in North Carolina, Florida oder Arizona.

Selbst möchte Smith nicht dorthin fahren und das Phantom stellen. Auch dann nicht, wenn er ein Auto besäße. Viel lieber will er das FBI für dessen Ermittlungspannen zur Rechenschaft ziehen. Nicht nur seine eigene Neugier wäre dann gestillt. Auch sein Glaube an den Rechtsstaat wäre wiederhergestellt. "Wenn die Polizei nicht gut arbeitet, müssen wir Bürger das übernehmen." (Florian Niederndorfer aus Portland, 19.11.2016)