Man erhält nicht oft im Leben die Gelegenheit, mit einem Inuit-Fischer über Lachsbestände in Alaska zu sprechen. Oder mit einer Kaffeebäuerin aus Costa-Rica über unterschiedliche Bohnen-Qualitäten. Oder ein Stück geräuchertes Rentierherz von einem Rentier-Hirten aus Lappland zu kaufen und von einer Imkerin aus Madagaskar den Honig. Bei der von Slow Food alle zwei Jahre in Turin veranstalteten Terra Madre-Salone del Gusto kann man das alles sogar an einem einzigen Ort erledigen. Und, wenn man will, auch an einem einzigen Tag.

Foto: Slow food

Mitten im Zentrum

Anlässlich des 30jährigen Jubiläums der Slow Food Bewegung und dem 20jährigen der Doppel-Veranstaltung hat man sich einige Neuerungen einfallen lassen. So werden etwa die Konferenzen, Märkte und Verkostungen heuer erstmals nicht im Messegelände am Rande der Stadt abgehalten, sondern mitten in deren Zentrum, in einigen der schönsten Gebäude Turins, auf barocken Plätzen, in Museen und Parks. Weinverkostungen etwa werden im ehemaligen Königspalast abgehalten, sogenannte Geschmackslabors, bei denen diverse Speisen, Getränke oder beides in Kombination verkostet und erklärt werden, finden unter anderen im Ägyptischen Museum statt.

Ein ganzer Bereich am Ufer des Flusses Po ist der Migration gewidmet. Hier werden Delegierte aus Syrien und dem Irak über ihre Erlebnisse sprechen, dabei werden landestypische Speisen gekocht, Volksmusik und Tänze aufgeführt. Indessen wird am Markt der Porta Palazzo, der als der größte Lebensmittelmarkt Europas gilt, unter dem Titel Migrantour eine tägliche Führung stattfinden, die sich mit dem Beitrag der Migranten an der kulturellen und kulinarischen Entwicklung der Stadt über die Jahrhunderte beschäftigt. Um die Veranstaltung etwas wettersicherer zu machen, wurde das Ganze gegenüber bisherigen Ausgaben um ein Monat vorverlegt und findet heuer bereits im September statt, und zwar von 22. bis 26.

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Kirschen vom Leithaberg

Auch Vertreter aus Österreich werden bei der Terra Madre anwesend sein und unter anderen die alten Kirschsorten vom Leithaberg präsentieren, die sich durch eine dünne Schale und eine intensive rot-braune Farbe auszeichnen und zusammen mit Obstbäumen und Weinstöcken angebaut werden. Mit dabei ist auch der Waldstaudenroggen aus dem Waldviertel, eine alte Getreidesorte mit intensivem Geschmack und hohem Vitamin- und Mineraliengehalt. Gleichfalls aus dem Waldviertel stammt das Blondvieh, eine alte Rinderrasse, die sowohl auf der Weide als auch in den Wäldern der Region gehalten wird und sich durch gute Milchproduktion und hohe Fleischqualität auszeichnet.

Starköche, Autoren und Aktivisten werden im Teatro Carignano Vorträge und Diskussionen abhalten, unter ihnen etwa die Küchenchefs Michel Bras oder Alice Waters, die Universitätsprofessorin Marion Nestlé, der Bauernführer und EU-Abgeordnete José Bové und etliche mehr. Dazu wird es Märkte geben, an denen man Produkte aus Italien und der ganzen Welt kaufen kann, viele davon, die eine Geschichte erzählen über die Gegend, aus der sie kommen, über die Menschen, die sie erzeugen. Etliche der Lebensmittel sind zudem von Slow Food geschützt und abgesehen von der Veranstaltung in Turin in vielen Fällen ausschließlich in ihrer angestammten Heimat erhältlich.

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Produzenten aus allen Ecken der Welt

Doch die wahren Stars der Veranstaltung sind anfangs erwähnte Kleinbauern, Fischer, Jäger und Lebensmittelhandwerker, die aus allen Ecken der Welt anreisen. Viele unter ihnen haben noch nie ihr Dorf verlassen, geschweige denn ein Flugzeug bestiegen. In Turin werden sie in ihren lokalen Trachten die Straßen und Plätze der Stadt bevölkern und sich austauschen über ihr Sorgen, ihre Probleme und Hoffnungen. Zudem wird im Parco Valentino ein Bereich den indigenen Völkern aus aller Welt zur Verfügung gestellt. Sie werden dort über Klimawandel, Waldrodungen und Landenteignungen sprechen. "Terra Madre ist die Interessensvertretung jener Menschen, die keine Interessensvertretung haben", sagt Slow Food Gründer Carlo Petrini, "nämlich der Kleinbauern und handwerklichen Lebensmittelerzeuger überall in der Welt." Und wem das alles allzu seriös und politisch erscheint, der kann stattdessen durch die Zelte, Stände und Märkte streifen, kosten, Fragen stellen und einkaufen. Oder einfach nur in der weitläufigen Vinothek Weine aus aller Welt probieren. Denn Essen und Trinken sind nun einmal vielschichtige Angelegenheiten, die genauso bestimmt sind von Politik, Umweltschutz und kulturellem Austausch wie von Genuss, Geselligkeit und Vergnügen. (Georges Desrues)

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