Kanzler Kern bei seiner Ankunft in Bratislava.

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Frankreichs Präsident Francois Hollande beim EU-Gipfel.

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Martin Schulz will mitmischen: dritte Amtszeit als EU-Parlamentspräsident oder SPD-Kanzlerkandidat?

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Brüssel/Wien/Bratislava – Das informelle Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs von 27 EU-Staaten am Freitag in Bratislava müsse für die Union "zum Wendepunkt werden". So lautet die Vorgabe des ständigen Ratspräsidenten Donald Tusk. Er will endlich konkrete Lösungen sehen, zur Ankurbelung der Wirtschaft, zur Stärkung des Schutzes der EU-Außengrenze, beim Migrationsproblem. Zum ersten Mal in der Geschichte der Gemeinschaft ist ein Vertreter eines Mitgliedslandes von Beratungen ausgeschlossen – die Britin Theresa May.

Weil Großbritannien sich beim Referendum im Juni entschlossen hatte, aus der Union auszutreten, wollten die verbleibenden 27 Länder schon einmal darüber reden, wie es nach dem Brexit weitergehen könnte. Weil die Regierung in London sich jedoch ziert, den Antrag auf Austritt zu stellen, muss man im Grundsätzlichen bleiben.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nutzte ihre Rede bei der Verleihung des Medienpreises M100 am Donnerstagabend in Potsdam dazu, um auf den EU-Gipfel in Bratislava einzugehen. "Es ist ganz und gar nicht gut, wie Europa derzeit verfasst ist." Die britischen Wähler hätten "gezeigt, wie wichtig es ist zusammenzustehen. Darum wird es in Bratislava gehen". Die Probleme würden in Bratislava nicht alle gelöst, aber es werde damit begonnen, einen Weg zu bestreiten. Sie rief auch zu mehr Einigkeit innerhalb der EU auf: "Gleichzeitig können wir Europäer erkennen, dass wir dem, was um uns herum geschieht, nicht hilflos ausgeliefert sind. Gemeinsam sind wir in der Lage, unsere Interessen in der Welt zu behaupten."

Indirekt ging Merkel auch auf die Debatte über die Freihandelsabkommen TTIP und Ceta ein: "Ich bin fest davon überzeugt: Eine Abschottung Europas vor den Problemen dieser Welt im 21. Jahrhundert entspricht nicht unseren Interessen. Die Kriege, Konflikte und die Armut dieser Welt gehen uns etwas an."

Mangels Brexit-Antrags bleibt den Chefs also Zeit, über andere Themen zu reden. So wird Österreichs Bundeskanzler Christian Kern den Wunsch vortragen, EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abzubrechen und eine andere Form sehr enger Zusammenarbeit anzustreben. Er will die Zollunion ausbauen. Offiziell gebe es dafür zwar wenig Unterstützung, erklärte Kern mit Außenminister Sebastian Kurz vor dem EU-Hauptausschuss, informell teilten aber viele EU-Länder diese Sicht.

Der Poker um Martin Schulz

Die Visegrád-Staaten Ungarn, Polen, Tschechien und Slowakei wollen einen Vorstoß unternehmen, um die Grenze von Bulgarien zur Türkei besser zu schützen. Ziel: weniger Migrantenzuzug in die Union. Tusk unterstützt das, die Migrationskrise habe Ängste ausgelöst, nicht nur in Großbritannien, sie sei der "Kipppunkt".

Deutschland und Frankreich wollen einen gemeinsamen Vorstoß für eine gestärkte EU-Militärpolitik unternehmen. Kanzlerin Angela Merkel und Präsident François Hollande trafen einander zur Vorbereitung in Paris.

In Bratislava könnte auch der Startschuss gegeben werden für anstehende wichtige Personalentscheidungen in EU-Institutionen. Im Jänner läuft die (einmal bereits um zweieinhalb Jahre verlängerte) Amtszeit des Sozialdemokraten Martin Schulz als EU-Parlamentspräsident aus. Ihm müsste an sich ein EU-Abgeordneter der Europäischen Volkspartei (EVP) nachfolgen, so wurde das nach den EU-Wahlen zwischen den Fraktionen schriftlich vereinbart. Es gibt dazu auch mehrere Kandidaten.

Aber Schulz strebt nun eine dritte Periode an. Die Sozialdemokraten kämpfen für ihn mit dem Argument, dass nicht alle drei Präsidenten von Rat (Tusk), Kommission (Jean-Claude Juncker) und Parlament aus dem EVP-Lager kommen dürfen. 2014 hatte die S&D-Fraktion auf den Ratspräsidentenjob verzichtet, die Italienerin Federica Mogherini wurde EU-Außenbeauftragte. Die Premiers dürften das ansprechen, zumal auf Schulz am Montag eventuell eine andere Aufgabe zukommt. Stolpert SPD-Chef Sigmar Gabriel beim Sonderparteitreffen über TTIP und Ceta, könnte Schulz Nachfolgekandidat werden. (Thomas Mayer aus Brüssel und Alexandra Föderl-Schmid aus Potsdam, 16.9.2016)