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Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius will Koranverteilungen verbieten lassen.

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Salafisten benutzen diese öffentlichen Verteilaktionen, um ihre radikale Ideologie zu verbreiten und Menschen zu missionieren und anzuwerben. Auf dem Bild eine Koranverteilung am Berliner Potsdamer Platz im Jahr 2012.

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Hannover – Dreißig Strafverfahren wegen islamistischen Terrorverdachts zählen die Behörden im nordwestdeutschen Bundesland Niedersachsen im laufenden Jahr bereits. Seit Antritt der rot-grünen Landesregierung im Jahr 2013 seien es insgesamt achtzig gewesen, in den Jahren 2008 bis 2012 dagegen nur fünf. Dies berichtete der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius am Donnerstag im Rahmen der Beantwortung dringlicher Anfragen der Oppositionsparteien FDP und CDU.

Nun will Pistorius die Koranverteilungen, die von Salafisten zu Anwerbezwecken veranstaltet werden, verbieten lassen. Als Gefährder eingestufte Islamisten mit Hilfe von Fußfesseln zu kontrollieren denkt der SPD-Minister ebenfalls an.

Verbotsempfehlung

"Wir wollen den Kommunen empfehlen, solche Koranverteilungsaktionen zukünftig zu verbieten. Einen entsprechenden Erlass lasse ich zur Zeit prüfen", sagte Pistorius in Hannover. Im Jahr 2016 seien bereits 114 derartige Verteilaktionen bei den Gemeinden angemeldet worden.

In der in einer aufgeheizten Atmosphäre geführten Sitzung wurde auch der Umgang mit unter Beobachtung stehenden Islamisten thematisiert. Zuletzt war von verschiedenen Medien berichtet worden, dass der Afghane Ahmed Feredaws A., der sich wegen Hinweisen auf Anschlagspläne regelmäßig bei der Polizei zu melden hatte, seit 11. Juli untergetaucht ist.

"Ja"

Der Vizefraktionsvorsitzende der FDP Jörg Bode fragte den Innenminister, ob er ausschließen könne, "dass bei der Einstellung der Observation von Ahmed A. Personalmangel eine Rolle gespielt hat?" Pistorius antwortete knappestmöglich: "Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren: Ja."

"Wir können nicht jeden, der als Gefährder eingestuft wird, einfach so festsetzen oder 365 Tage im Jahr beobachten. Auch das wird nicht rechtlich sauber möglich sein", stellte Pistorius fest. Zu der Frage nach einer möglichen Verwendung von Fußfesseln bei unter Beobachtung stehenden Islamisten meinte er, das sei an entsprechende Hürden gebunden. "Die werden gerade geklärt, und wenn es gangbar ist, für welche Fälle am Ende auch immer, dann werden wir das auch einsetzen".

Spitzfindige Fragen

Unterstützung erhielt Pistorius vom Koalitionspartner. Die grüne Landtagsabgeordnete Meta Janssen-Kucz kritisierte in ihrer Wortmeldung CDU und FDP: "Mein Eindruck ist, dass Sie nur spitzfindige Fragen stellen, was nichts zur Beruhigung der Bevölkerung beiträgt".

Radikale Szene

Die islamistische Szene in Niedersachsen machte in den vergangenen Monaten immer wieder von sich reden. Am 17. November war in Hannover ein Fußball-Länderspiel zwischen Deutschland und den Niederlanden wegen akuter Terrorbedrohung kurzfristig abgesagt worden. Drei Tage später war bei dem 19-jährigen Mohammed Hassan K. eine Razzia in seiner Wohnung in Hannover-Misburg durchgeführt worden. Er hatte im geräumten Hannoveraner Stadion ein Video gedreht, in dem er sich mit einer Ordnerweste bekleidet lobend über die Terrororganisation "Islamischer Staat" äußert. Im Zusammenhang mit Drogen, Geldwäsche, Waffeneinsatz und Körperverletzung war er bereits aktenkundig.

Polizist niedergestochen

In einem zweiten Ermittlungsverfahren wird K. Mitwisserschaft vorgeworfen. Die 16-jährige Schülerin Safia S. hatte ihm angekündigt, eine "Märtyrertat" durchführen zu wollen. Am 26. Februar 2016 stach S. beim Hauptbahnhof von Hannover auf einen 34-jährigen Polizisten ein. Gegen sie wurde Anklage wegen Mordversuchs erhoben, der Prozess startet im Oktober in Celle. Zuvor war sie in die Türkei gereist, um sich dem IS anzuschließen, scheiterte aber. Auch sie war als "Gefährderin" bekannt. Die Radikalisierung von Safia S. wird mit dem Salafistenprediger Pierre Vogel in Verbindung gebracht. Der Konvertit ist in mehreren Videos mit Safia S. zu sehen.

Anweisung durch IS-Coach

In einem Internet-Chat hatte S. aktiv Unterstützung des IS für ihr Vorhaben gesucht. Eine Person namens "Leyla" gab ihr via Messenger-Dienst Anweisungen für den Angriff. Sie solle einen Polizisten in eine Ecke des Bahnhofs locken, ihn dort niederstechen und seine Dienstwaffe an sich nehmen, mit der sie schießen solle. Da jedoch S. nicht mit Waffen umgehen konnte, sollte sie ein Bild einer üblichen Polizeipistole schicken, dann würde ihr die Benutzung erklärt werden. S. verschickte jedoch nur ein Bekennervideo an den IS, am nächsten Tag ging sie mit zwei Messern bewaffnet zum Bahnhof und stach den Polizisten nieder.

Molotow-Cocktails

Der 19-jährige Bruder von Safia S., Saleh S., warf am 5. Februar 2016 mit Molotow-Cocktails auf Passanten vor dem Hannoveraner Bahnhof, scheiterte aber, da er für die Brandsätze nur Diesel benutzt hatte. Er war bereits wegen Körperverletzung, versuchten Totschlags, Messerstecherei und verbotenen Waffenbesitzes bekannt. Zur Zeit ist er in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung untergebracht.

Die gleiche salafistische Moschee wie Mohammed Hassan K., Safia und Saleh S. frequentierte auch Ahmed Feredaws A. Gemeinsam hatten sie Koranverteilungen durchgeführt. A.'s Asylantrag wurde 2012 abgelehnt. Während US-Präsident Barack Obamas Besuch in Hannover im April 2016 stand A. unter ständiger Polizeibeobachtung Im September 2015 wurde der Flüchtlings-Reiseausweis des 24-Jährigen nicht verlängert und ein Ausreiseverbot gegen ihn und seine Freundin, die 22-jährige Deutschtürkin Nur G., verhängt. Zusätzlich wurde er verpflichtet, sich dreimal pro Woche bei der Polizei zu melden. Der Verfassungsschutz hatte ermittelt, dass A. mit G. nach Kabul reisen wollte, um dort einen Anschlag auf Einrichtungen der Nato durchzuführen. Im Juli 2016 tauchte A. unter. (Michael Vosatka, 16.9.2016)