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Im Rahmen des Forschungsprojekts wurde keines der Babys extra zum Weinen gebracht.

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Das Weinen von Kindern, deren Mütter tonale Sprachen sprechen, gleicht einem melodischen Singsang.

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Wenn ein Baby beginnt, seine ersten Laute in die Welt hinauszugurren, und sich im Brabbeln ausprobiert, ist es schon längst von der Sprache seiner Mutter beeinflusst. Diese muttersprachliche Einwirkung auf Babylaute zeigt sich besonders deutlich bei sogenannten tonalen Sprachen. Also Sprachen, bei denen durch eine Änderung der Tonhöhe oder des Tonverlaufs auch die Bedeutung von Wörtern mutiert.

Zu diesem Ergebnis kommen chinesische und deutsche Forscherinnen und Forscher im Rahmen zweier Studien, die unter Federführung der Julius-Maximilians-Universität Würzburg durchgeführt wurden. Probanden für die Untersuchungen waren neugeborene Babys aus China und Kamerun – Ländern mit tonalen Sprachen. Bei Mandarin, der Amtssprache Chinas, und bei Lamnso, das im Nordwesten Kameruns gesprochen wird, kann ein Laut unterschiedliche Dinge bezeichnen, je nach Variation der Tonlage oder des Tonhöhenverlaufs.

Weinen gleicht Singsang

Inwiefern unterscheidet sich das Weinen von Neugeborenen, wenn Schwangere solche komplexen tonalen Sprachen sprechen? Das war die Leitfrage der Wissenschafter. Einer der Befunde: "Das Weinen von Neugeborenen, deren Mütter eine tonale Sprache sprechen, zeigt eine deutlich stärkere melodische Variation, verglichen etwa mit deutschen Neugeborenen", sagt Kathleen Wermke, Leiterin des Zentrums für vorsprachliche Entwicklung und Entwicklungsstörungen am Universitätsklinikum Würzburg und Erstautorin beider Studien.

Im Vergleich zum Gebrabbel von "deutschsprachigen Neugeborenen" war der Abstand zwischen den tiefsten und den höchsten Lauten kamerunischer Kleinkinder deutlich größer, das Auf und Ab dieser Töne war auch wesentlich intensiver. "Ihr Weinen glich mehr einem Singsang", erklärt Wermke den Einfluss der tonalen Sprache. Zu ähnlichen Schlüssen kam das Forscherteam bei den Babys aus Peking.

Früheste Phase der Sprachentwicklung

Die Ergebnisse sehen die Wissenschafter als Bestätigung ihrer Theorie: "Der Erwerb von Bausteinen für die spätere Sprache beginnt gleich nach der Geburt; nicht erst dann, wenn Babys anfangen zu brabbeln oder erste Wörter produzieren", sagt die Studienautorin. Schon im Bauch der Mutter würde der Nachwuchs seine "Muttersprache" kennenlernen. Und: Noch bevor Babys erste Laute gurren, trägt ihr Weinen Spuren der Umgebungssprache.

Neugeborene können jede Sprache lernen

Unabhängig davon sind laut Kathleen Wermke Neugeborene aber in der Lage, "jede gesprochene Sprache der Welt zu erlernen – egal wie komplex sie ist". Im Rahmen ihrer Studien haben die Forscher die allerersten Laute von 55 Neugeborenen aus Peking und 21 aus Kamerun in den ersten Lebenstagen aufgezeichnet.

Die Babys wurden dafür nicht extra zum Weinen gebracht. "Wir haben nur spontane Lautäußerungen aufgezeichnet, in der Regel immer dann, wenn sich ein Baby bemerkbar machte, weil es Hunger hatte", sagt Kathleen Wermke. Die Studienergebnisse wurden in den aktuellen Ausgaben der Fachzeitschriften "Speech, Language and Hearing" und "Journal of Voice" veröffentlicht. (chrit, 19.9.2016)