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Hillary Clinton ist zurück auf der Wahlkampfbühne.

Foto: REUTERS/Brian Snyder

Eigentlich ist mit James Brown schon alles gesagt. "I feel good", dröhnt es aus den Lautsprechern in der Aula der University of North Carolina in Greensboro. Was Hillary Clinton an diesem Tag kundtun will, mit der Liedzeile des legendären Soulsängers ist es prägnant auf den Punkt gebracht. Als sie die Bühne betritt, als sie die Bühne wieder verlässt: Browns unverwechselbare Stimme bildet die akustische Kulisse, wäre es ein eigens für sie geschriebener Wahlkampfsong.

Alles andere ist zweitrangig an dem Tag, an dem sich die Kandidatin zurückmeldet, um frei nach Mark Twain deutlich zu machen, dass sie stark übertrieben sind, die Gerüchte über ihr Ausscheiden aus dem Rennen um die Präsidentschaft. "Ich hatte neulich eine Erkältung, die sich als Lungenentzündung entpuppte", witzelt sie. "Selbst ich musste einsehen, dass mir ein paar Tage Ruhe vielleicht gut tun." Dann versucht Clinton, ihre Patientengeschichte in eine politische Botschaft umzumünzen. Millionen von Müttern und Vätern könnten es sich nicht leisten, bei Krankheit zu Hause zu bleiben, weil sie über keinerlei finanzielle Reserven verfügten. Für diese Leute wolle sie kämpfen, "für all jene, die am Boden liegen und doch jedes Mal wieder aufstehen".

Durchaltevermögen

Wichtiger ist, dass sie überhaupt redet. Dass sie die Rede durchhält, nach der New Yorker Schrecksekunde, als sie bei einer Gedenkfeier für die Opfer der Anschläge des 11. September 2001 zusammenbrach. 23 Minuten lang steht sie am Pult, für ihre Verhältnisse ist es ein kurzer Auftritt. Nach 16 Minuten kippt ihre Stimme ins Heisere, doch das legt sich bald wieder. Sonst gibt es nichts, was Wasser auf die Spekulationsmühlen treiben könnte. Völlig genesen ist Clinton zwar noch nicht, aber sie scheint auf gutem Wege. Jedenfalls gibt sie die Eiserne Lady, die sich auch von einer Lungenentzündung nicht aus der Bahn werfen lässt. Man könne ihr manches vorwerfen, sagt sie grimmig entschlossen, aber nicht, dass sie kapituliere. "Ich werde niemals davonlaufen, egal wie hart es noch wird."

Hillary und die Gesundheit – an dem Thema hat sich, jenseits aller wahltaktischen Manöver, eine gesellschaftspolitische Debatte entzündet. Thema: Gleichberechtigung im 21. Jahrhundert. Clintons Anhängerinnen, aber nicht nur die, sprechen vom Messen mit zweierlei Maß. Wenn bei der früheren First Lady schon ein Schwächeanfall die Frage nach eventuellen Ersatzleuten befeuere, während ihrem Kontrahenten eine Showeinlage in einem Fernsehstudio genüge, um sämtliche Fragen nach seiner Fitness zu umschiffen, dann sei etwas faul.

Trump-Auftritt bei Dr. Oz

Am Donnerstag hat Trump beim Mittagstalk mit Dr. Oz, einem vom Herzchirurgen zum Talkshowgastgeber mutierten Mediziner, die Miniversion einer Krankenakte publik gemacht, einen kurzen Brief seines Arztes Harold Bornstein. Der Blutdruck beneidenswert niedrig, aber ein Übergewicht am Rande der Fettleibigkeit, das waren die Eckwerte. Wenn er in den Spiegel schaue, sehe er einen 35-Jährigen, hatte der 70 Jahre alte Milliardär, zu Mehmet Oz‘ leicht verwunderten Blicken, über sich selber geschwärmt. Und hinzugefügt, dass es dem Schwitzen an einem Fitnessgerät durchaus ähnele, wenn er in einer Arena mit fünfzehn- bis zwanzigtausend Zuschauern rede und dabei intensiv gestikuliere. "Oft ist es wirklich heiß in diesen Hallen, wie in einer Sauna, und ich denke, was ich tue, ist eine Form von Leibesübung."

Hier die Frau, die sich keine Schwäche erlauben darf. Dort der Macho, dem man scheinbar alles nachsieht. Eine groteske Schieflage, kritisiert Kathleen Parker, eine Kolumnistin der "Washington Post". "Seit wann muss sich jemand schuldig fühlen, wenn er krank wird, was uns allen ab und an widerfährt?" Für Frauen, schreibt Parker, habe es begonnen, als sie auf den von Männern dominierten Arbeitsmarkt strömten und doppelt so hart arbeiten mussten, auf dass man ihnen bescheinige, so gut wie die Männer zu sein. Ergo neigten sie bis heute dazu, alles zu verbergen, was den Eindruck erwecken könnte, sie seien das schwache Geschlecht. Sich ja keine Blöße geben, diese Maxime habe Clinton zunächst wohl veranlasst, aus ihrer Lungenentzündung ein kleines Geheimnis zu machen. (Frank Herrmann aus Washington, 16.9.2016)