Haltet ihn, oder er fährt dem Volk an die Gurgel: Coriolan (Cornelius Obonya, mit Messer) muss von den Vertretern der Oberschicht im Zaum gehalten werden (re.: Martin Reinke als Menenius).

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Wien – Im Rom der alten Republikaner steht es mit der Verständigung nicht zum Besten. Ein Maschenzaun trennt die Rotte der Hungerleider von den Vertretern der Politikerkaste. Mit Eisenstangen in der Hand skandiert die Plebs ihre Parolen für eine gerechtere Aufteilung der Nahrungsmittel: "Brot ist für alle da ..."

Die Erwiderungen der Regierenden aber sind kein Beitrag zur Lösung, sondern vielmehr ein Teil des Problems. Im Akademietheater wird Shakespeares "Coriolan" gegeben. Das Volk plärrt, und herein tänzelt der Senatsschwätzer Menenius (Martin Reinke). Ihm, dem Berufspolitiker im feinen Zwirn, obliegt es, die Schreihälse zu beruhigen. Seine Suada handelt vom "Bauch", der all das schöne Essen abbekommt, damit er die übrigen Körperglieder ausreichend mit Kraftstoff versorge.

Süßholzraspeln kann er

Ein Meisterstück der Demagogie. Und da sich Reinke mit gaumigem Ton famos auf Süßholzraspelei versteht, ist Carolin Pienkos' Inszenierung auch schon auf dem Gipfelpunkt ihrer Möglichkeiten angekommen.

Der mürrische Feldhauptmann Caius Martius (Cornelius Obonya) erscheint auf der Debattierstätte. Er zieht gerade die Handschuhe über. Krieg steht vor der Tür, und er wird den feindlichen Volskern im Feld draußen kein Pardon geben. Vorher findet sich aber noch genug Gelegenheit, den "Pöbel" und dessen Vertreter – Gewerkschafter in schlecht sitzenden Anzügen – auf das Gröblichste zu beleidigen.

Ringen um das Konsulat

Caius geht aus dem Gemetzel als blutiger Sieger hervor. Konsul soll er werden. Nach alter Väter Sitte braucht er den Plebejern nur noch seine Wunden zu zeigen, und schon bekleidet er, per Akklamation bestätigt, das höchste Amt im Staat. Das geht wegen der volksfeindlichen Rüpeleien Coriolans absehbar schief. Nur leider ist sich diese brave, politisch beflissene Stadttheaterinszenierung nicht recht im Klaren, was sie überhaupt erzählen will.

In Rom amtiert ein autokratisches, vielleicht sogar ein protofaschistisches Regime. Für die demokratische Einrichtung dieser Stadtrepublik sind die Beteiligten, voran die Regie, komplett blind. Abhänger geben den Blick frei auf den kalten Marmor diktatorischer Pracht (Bühne: Walter Vogelweider). Coriolan vermag anderen nicht zu schmeicheln. Einzige Instanz seines Handelns ist seine kreidegraue Mutter Volumnia: Elisabeth Orth, versteinerter Ausdruck männlicher Vernunft und ungerührten Weitblicks.

Rührend angeekelt

Einzig nach ihrer Hand schnappt der Griff von Coriolans todbringender Rechter. Nur ihr (und natürlich dem Bild seines Nachruhms zu Lebzeiten) ist dieser eckige, sauertöpfische Mann zugetan. Die Gemahlin (Anna Sophie Krenn), lockend in ihren todschicken roten Pumps, muss stillschweigen. Immerhin das Söhnchen darf einen Spielzeugpanzer fernsteuern.

Coriolan kann mit den so mühsamen Mechanismen politischer Willensbildung nicht das Geringste anfangen. Rührend angeekelt versucht er sich bei den Handwerkern als Ohrenbläser. Das Volk hat in Gestalt seiner Bürger Aufstellung genommen. Jeder von ihnen schwankt buchstäblich wie ein Rohr im Wind.

Mit Pastillen vor das Volk

Jetzt wüsste man gern, wer denn nun hier die Interessen des Staatsganzen an den Populismus verrät. An den Tribunen kann es nicht liegen. Sicinia (Sylvie Rohrer) rüstet sich mit Rachenpastillen für ihr rhetorisches Feuerwerk. Sie und der verdatterte Junius (Hermann Scheidleder) schwärzen den Feldherrn erfolgreich beim Volk an. Coriolan hat seinerseits nichts Besseres zu tun, als der Gewerkschafterin eine kräftige Ohrfeige zu verabreichen. Auch sonst spuckt der verknorzte Krieger auf dem roten Läufer Gift und Galle wider die Kanaille. Aus Coriolan, so viel steht fest, wird sein Lebtag lang kein aufrechter Demokrat mehr werden. Bei dieser treuherzigen Feststellung lässt es Pienkos im Großen und Ganzen bewenden.

Heimatstadt niederreißen

Der Rest sind Bildideen, die aus dem Fundus des Stadttheaters in Gütersloh stammen könnten. Volsker wie Römer fuchteln eindrucksvoll mit Stich- und Schusswaffen. Der eigensinnige Schlachtengott wird aus Rom verbannt. Er teilt nun ausgerechnet mit seinem Todfeind Aufidius (Markus Meyer) das Feldbett. Seine Heimatstadt will er aus verletztem Stolz niederreißen; die Mama redet ihm derlei Unfug mit rechtschaffener Suada wieder aus. Ein Abend ohne jede Faszinationskraft, vom Publikum freudig begrüßt. (Ronald Pohl, 18.9.2016)