Forscher der Universität Hohenheim waren als eine Art CSI Lebensmittel unterwegs. Reinhold Carle und sein Team hatten 2015 Produktproben erhalten, deren besonders intensive dunkelrot glänzende Färbung Lebensmittelherstellern sehr ungewöhnlich erschien. Angeblich kam die Färbung nur durch Hibiskus- und Rote-Bete-Extrakte zustande.

Unbehandelt hätten beispielsweise Wurst und zubereitete Fleischwaren einen grauen Farbton, erläutert Carle: "Damit sie appetitlicher aussehen, färben Lebensmittelhersteller ihre Produkte zum Teil mit natürlichen Farbstoffen. Sind diese Farbstoffe in sogenannten färbenden Lebensmitteln enthalten, müssen diese nicht als Zusatzstoffe mit E-Nummern auf der Verpackung deklariert werden."

Allerdings leiden die meisten natürlichen Lebensmittelfarbstoffe an geringer Licht- und Hitzestabilität. Bei unterschiedlichen pH-Werten veränderten sie teilweise auch ihren Farbton. Lebensmittelhersteller wünschten sich daher einen natürlichen Farbstoff, der stabiler sei. Die versprochene Stabilität der Färbung habe bei mehreren Lebensmittelherstellern jedoch Zweifel aufkommen lassen, ob das neue Produkt wirklich allein aus natürlichen Zutaten besteht.

Farbe bekennen

Die Wissenschafter setzten für die Analyse ein neues Analyseverfahren ein. Mithile der Flüssigkeitschromatografie mit gekoppelter Massenspektrometrie konnte gezeigt werden, dass das Färbemittel nicht nur Rote-Bete-Pigmente (Betalaine) und Hibiskus-Pigmente (Anthocyane enthielt, sondern auch andere Färbemittel.

Diese unbekannte Komponente zeigte übereinstimmende Eigenschaften mit einem zum Färben von Textilien verwendeten Azofarbstoff. "Die Analysedaten ließen uns vermuten, dass "Reactive Red 195" beigemischt sein könnte. Deshalb analysierten wir den Original-Textilfarbstoff in einer vergleichenden Untersuchung", so Carle. Das Ergebnis sei eindeutig, so der Lebensmittelexperte: "Wir können zweifelsfrei davon ausgehen, dass alle drei Muster den identischen Textilfarbstoff enthielten."

Was die Überwachung erschwert: Sobald das Färbemittel in Lebensmitteln verarbeitet wird, sei es kaum noch nachzuweisen. "Der Grund für die Analyse-Schwierigkeiten liegt in der Natur des Textilfarbstoffes", so Carle: "Reaktiv-Farbstoffe reagieren mit organischen Stoffen und verbinden sich weitgehend untrennbar mit ihnen. "Bei Textilien ist das so gewünscht: Textilfarbstoffe sollen sich fest an die Baumwollfasern eines T-Shirts binden, damit sie beim Waschen nicht ausbleichen.

Unbekannte Auswirkung

Da Lebensmittel auch aus organischem Material bestehen, tritt hier der gleiche Effekt ein. Daher sind diese Farbstoffe nach dem Einbringen in Lebensmitteln kaum noch nachweisbar. Was "Reactive Red 195 im Körper genau bewirkt, ist unbekannt.

"Die Chemikalie gehört zu den Azofarbstoffen. Einige stehen im Verdacht, bei Kindern zu Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörungen zu führen", sagt Carle. Aufgrund der sogenannten Southampton-Studie von 2007 müssten Lebensmittel, die solche Farbstoffe enthalten, seit 2010 in der EU den Warnhinweis tragen: "Kann Aktivität und Aufmerksamkeit bei Kindern beeinträchtigen".

Als Textilfarbstoff sei "Reactive Red 195" jedoch zu keinem Zeitpunkt in Lebensmitteln erlaubt gewesen. "Ein Versehen erscheint uns unwahrscheinlich", erklärt Carle. "Die Vorgehensweise legt nahe, dass hier ein Experte am Werk war, der das Lebensmittelrecht kennt und weiß, wie man durch täuschende Produktdeklaration die Gesetze umgehen kann." (red/idw, 19.9.2016)

Originalpublikation:

Adulteration of anthocyanin- and betalain-based coloring foodstuffs with the textile dye ‘Reactive Red 195’ and its detection by spectrophotometric, chromatic and HPLC-PDA-MS/MS analyses