Graz – Krebszellen zeichnen sich durch ein ungehemmtes Zellwachstum ohne Rücksicht auf das umliegende Gewebe aus. Dabei verbraucht der wuchernde Zellhaufen immens viel Energie, die in den Mitochondrien gebildet wird. Wissenschafter der Medizinischen Universität Graz berichten nun in Nature Communications von einem Mechanismus, der Krebszellen zum richtigen Energiehaushalt verhilft.

Die Forscher um Wolfgang Graier vom Institut für Molekularbiologie und Biochemie der Medizinischen Universität Graz beschäftigen sich seit mehreren Jahren mit Mitochondrien, den "Kraftwerken" der menschlichen Zellen. "Wir haben den Stoffwechsel von Krebszellen im Visier, um ihn auf dieser speziellen Ebene anzugreifen", sagte Graier.

Wichtige Kalziumzufuhr

Mitochondrien erzeugen durch Aufspaltung von Nährstoffen wie Zucker Energie in Form von Adenosintriphosphat (ATP), den Treibstoff für die Aufgaben der Zelle. Es war bereits bekannt, dass die Aufnahme von Kalzium (Ca2+) in die Mitochondrien einer der entscheidenden Prozesse ist, um die sogenannte mitochondrialen Atmung zu aktivieren. Diese liegt wiederum der Produktion von ATP zugrunde. "Mitochondrien befinden sich in fast allen Körperzellen. Diese sehr dynamischen Organellen sind in großer Interaktion mit dem größten intrazellulären Kalziumspeicher, dem endoplasmatischen Retikulum", so Graier.

Die Grazer Mediziner erkannten in den von ihnen untersuchten Krebszellen, dass der Kalziumfluss vom endoplasmatischen Retikulum zu den Mitochondrien stark erhöht war. Die massive Kalziumzufuhr mündet in einer erhöhten Produktion von ATP, wodurch die Krebszellen ausreichend Energie für ihr Wachstum haben.

Vorzeitiger Zelltod

Andererseits kann eine ungebrochene Erhöhung der Kalziumaufnahme bald dazu führen, dass Mechanismen ausgelöst werden, die zum Platzen der Mitochondrien und zum Tod der Zelle führen. "Die Krebszelle muss also einen Mechanismus besitzen, wie sie ausreichend ATP bekommt und andererseits der programmierte Zelltod verhindert wird", sagte Graier.

Die Grazer Wissenschafter entdeckten diesen Regulationsmechanismus in Krebszellen: Im Vergleich von gesunden Körperzellen und Tumorzellen zeigte sich, dass die Kalziumaufnahme in die Mitochondrien durch die sogenannte Methylierung des Regulatorproteins MICU1 stark beeinträchtigt wird. Unter Methylierung versteht man das Hinzufügung von Methylgruppen an die Trägerstruktur. Erst durch die Interaktion des Regulatorptroteins MICU1 mit einem Entkoppelungsprotein (Uncoupling Protein 2, UCP2) könne es zur gewünschte Kalziumaufnahme kommen.

"Über die Expression von UCP2 scheinen Krebszellen somit – im Gegensatz zu gesunden Zellen – die Möglichkeit zu besitzen, die mitochondriale Aktivität zu regulieren", erklärte der Grazer Forscher. Ein weiterer Regulationsfaktor scheint die physische Nähe der Mitochondrien zum endoplasmatischen Retikulum zu sein. Graier erkennt in den neuen Erkenntnissen mögliche neue Optionen in der Krebstherapie: Durch die Manipulation der zellulären Prozesse, die das mitochondriale Kalzium regulieren, könnte der Zelltod kontrolliert ausgelöst werden. (APA, 20.9.2016)