Bei einem Rundgang durch den Markt von Seoul zeigt sich die Seele der koreanischen Küche: Diese ist bunt, variantenreich und auf alle Fälle fermentiert.

Foto: Georges Desrues
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Die ganze Welt gärt. Sollte es nämlich eine Kultur auf dieser Welt geben, sagt Piercarlo Grimaldi, die sich nicht der Fermentation bedient, um Lebensmittel zu verändern, um sie länger haltbar und bekömmlicher zu machen, so müsse sie erst entdeckt werden. Davon ist der Professor für Kulturanthropologie an der Universität für Gastronomische Wissenschaften in Pollenzo bei Turin überzeugt. "Ein Land aber", fährt der Anthropologe fort, "in dessen Küche die Kultur der betreuten Verrottung, als die man Fermentation auch betrachten kann, bis heute die wohl bedeutendste Rolle spielt, ist zweifellos Korea."

Tatsächlich fermentieren die Koreaner seit je. Und sie fermentieren alles. Dabei denkt man zuallererst an das berühmte Kimchi, einen fernöstlichen Verwandten des Sauerkrauts. "Im Westen kennt man Kimchi vor allem aus Chinakohl, in Wahrheit erzeugen wir es aber aus allen möglichen Gemüsen", sagt Jinmo Jang, Koch und Besitzer des angesagten Seouler Restaurants And. "Die traditionelle Methode besteht darin, das gesalzene und je nach Geschmack mit getrockneten Shrimps, Knoblauch und/oder Chilipulver gewürzte Gemüse in Tongefäßen bis zu mehreren Monaten reifen zu lassen und es dieserart zugleich als wichtige Vitaminquelle für die Wintermonate aufzubewahren." Heutzutage aber finde sich in den meisten koreanischen Haushalten statt der Tongefäße ein spezieller Hightech-Kimchikühlschrank mit konstanterer Temperatur und feuchterer Atmosphäre, in dem jede Familie ihr Gemüse selbst vergärt.

Gärende Nation

"Fermentierte Lebensmittel sind integrativer Bestandteil der Nationsbildung Koreas", erklärt der Anthropologe Grimaldi, "auf der Koreanischen Halbinsel herrscht raues Klima, die Landschaft ist gebirgig mit nur wenigen fruchtbaren Tälern." Darum habe sich hier eine frühe Form der Zymologie entwickelt, also der Wissenschaft der Gärung, um die Gemüse transportfähig und haltbar für den Winter zu machen.

Als die Fermentationstechniken, die vor allem in der Goguryeo-Zivilisation, einem der alten Königreiche auf der Halbinsel, besonders hochgehalten und gepflegt wurden, sei auch das Selbstverständnis als Nation erstarkt. Heute sind die Koreaner äußerst stolz auf dieses Erbe, etwa in gleichem Maße, wie es die Italiener auf die sogenannte Mittelmeerdiät sind – mit dem wesentlichen Unterschied, dass bei Letztgenannter die Frische der Zutaten im Vordergrund steht und nicht die Veredelung durch das kalte Feuer der Bakterien, wie der amerikanische Autor Michael Pollan die Fermentation auch nennt.

Die Seele der koreanischen Küche

Bei einem Spaziergang durch den Markt in Seoul führt der junge Koch Jinmo Jang in einen Gang, in dem ein ziemlich strenger Geruch herrscht. Auf den ersten Blick scheinen alle Stände dieselben Waren anzubieten. "Das hier ist die Seele der koreanischen Küche", sagt Jang und deutet auf die verschiedenfarbigen Pasten an einem der Stände, "die drei fermentierten Grundelemente sind Sojasauce, Paste aus Sojabohnen und Paste aus roten Chilis." Interessanterweise ist der Sammelbegriff für diese drei Muttersaucen der koreanischen Küche gleichlautend mit dem Namen des Kochs: Jang. Das sei Zufall, fügt Jinmo Jang an. Die erste der drei Grundjangs ist Doenjang, die aus Blöcken fermentierter Sojabohnen (Meju) zubereitet wird. Diese werden in Wasser aufgelöst, daraus entsteht einerseits die zweite Grundsauce, die flüssige Sojasauce Ganjang, und andererseits, aus der festen Masse, die erwähnte zähflüssige Paste Doenjang. Die dritte Sauce nennt sich Gochujang und besteht aus Reis, Sojabohnen und Chili.

"Die Saucen können variiert werden", fährt Jang fort, "etwa durch Zugabe vergorener und getrockneter Sardellen, fermentierter Fisch- oder Austernsaucen, um ihren Geschmack etwas intensiver zu gestalten", wobei das Konzept des noch intensiveren Geschmacks für einen europäischen Besucher nur äußerst schwer vorstellbar ist. Was damit wirklich gemeint ist, zeigt sich beim Besuch des Seouler Fischmarkts, wo ein Bereich ausschließlich Meerestieren, Rogen und Innereien in fermentiertem Zustand gewidmet ist. Spätestens hier sollte auch dem erfahrensten Fermento, wie man die fermentationsbegeisterten Hipster in den USA nennt, klar werden, was er im Vergleich zu einer koreanischen Marktfrau für ein Greenhorn ist.

Variantenreich

"Vergorene Fischsaucen nennt man Jeotgal", sagt Jang, "sie können aus allen möglichen Fischen und Meeresfrüchten oder aus Teilen davon erzeugt werden." Variiert werden sie je nach Jahreszeit und Region, je nach Fang und Klima. Trotz ihrer relativ simplen Zusammensetzung – sie bestehen in der Regel aus nichts anderem als Meerestier und Salz – haben die Koreaner ihre Zubereitung zu einer regelrechten Wissenschaft erhoben: Für eine gelungene Fermentation braucht es die richtige Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Örtlichkeit und Lagerungsdauer. So heißt es etwa, dass das beste Austern-Jeotgal, Eoriguljeot, von den Flussmündungen an der Westküste stammt. Und das beste Shrimps-Jeotgal (Saeujeot – der Name variiert nach Art der Shrimps und Fangzeit), mit dem auch Kimchi gewürzt wird, aus der Ortschaft Gwangcheon, wo sie ihr delikates Aroma in kühlen Höhlen entwickeln.

Für Jang wie für die meisten Koreaner besteht gar kein Zweifel, dass die koreanische Küche gerade wegen der Bedeutung, die sie der Fermentation beimisst, die gesündeste überhaupt ist, vor allem im Vergleich zur sogenannten westlichen Küche oder Diät, wobei hier schon anzuführen ist, dass viele Koreaner darunter nichts anderes verstehen als Fast Food in Form von Hamburgern und Hühnernuggets.

Leicht verdaut

Was die positiven Auswirkungen der fermentierten Lebensmittel auf die Gesundheit betrifft, geben ihnen zahlreiche Ernährungswissenschafter recht. So haben mehrere Studien herausgefunden, dass jene Fermentation, die in unserem Verdauungstrakt abläuft, von abertausenden Mikroben ausgeht, die sich nicht nur mit ihren Artgenossen äußerst gut vertragen, die wir durch fermentiertes Essen zu uns nehmen, sondern von diesen auch stimuliert werden, was wiederum für eine Verstärkung der körpereigenen Abwehrkräfte sorgen soll. "Mir erscheint das völlig logisch", fügt Jang an, "die Lebensmittel sind durch die Mikroorganismen schon teilweise vorverdaut, also braucht sich unser Körper weniger anzustrengen, und wir verdauen sie leichter."

Das mag zwar alles richtig sein. Der wahre Grund dafür, warum nicht nur die Koreaner so viel Freude mit fermentierten Speisen haben, liegt aber vermutlich weniger in deren gesundheitlichen Eigenschaften als viel eher in den breiten und aufregenden Geschmacksspektren, die sie bieten. (Georges Desrues, RONDO, 12.10.2016)