Der Unkrautvernichter Glyphosat wird auf den Feldern eingesetzt und kommt so in geringen Dosen auch in den menschlichen Organismus.

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Gerd Antes ist Mathematiker, Biometriker und Direktor des Cochrane-Zentrums am Universitätsklinikum Freiburg. Er ist ein Wegbereiter der evidenzbasierten Medizin in Deutschland.

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Vor einer Woche hat der deutsche Chemieriese Bayer den US-Konkurrenten Monsanto um 58 Milliarden Euro übernommen. Das umstrittene Unkrautvertilgungsmittel Glyphosat steht im Verdacht, krebserregend zu sein. Erst im Juni hat die EU die Zulassung des Pestizids um weitere 18 Monate verlängert. Sie hofft, dass dann mehr gesichertes Wissen vorhanden ist.

STANDARD: Bei der Verlängerung des umstrittenen Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat hat sich die EU schwer getan. Wieso konnte die Wissenschaft keine Empfehlung geben?

Antes: Die Wissenschaft hat dazu eine klare Empfehlung abgegeben und die lautete: Sie weiß es nicht. Wenn eine Seite "wahrscheinlich krebserregend" und die andere "wahrscheinlich nicht krebserregend" sagt, bleibt doch gar kein anderer Schluss. Es war die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), die Glyphosat als "wahrscheinlich krebserregend für Menschen" eingestuft hat.

STANDARD: Wie seriös sind solche Warnungen?

Antes: Das hängt natürlich von der durch Studien ermittelten Grundlage für diese Aussage ab. Diese muss ermöglichen, statt des vagen "wahrscheinlich" eine quantitative Angabe "wie stark krebserregend" zu machen. Wenn "wahrscheinlich krebserregend" in dieser Formulierung ernst genommen werden muss, dann dürften an vielen Straßenkreuzungen keine Menschen mehr leben und viele Nahrungsmittel nicht mehr auf unsere Teller kommen, von Zigaretten ganz zu schweigen.

STANDARD: Die IARC hat zuletzt auch vor verarbeitetem Fleisch gewarnt. Machen solche Warnungen Sinn, oder ist das Panikmache?

Antes: Sie sind Panikmache mit eventuell ein bisschen Sinn. Es sind Mittelwertswarnungen, mit denen der Einzelne wenig anfangen kann. Würde er die Liste der Warnungen umzusetzen versuchen, hätte er wohl ernsthafte Ernährungsprobleme durch die Verwirrung, was er denn nun essen kann. Ganz anders sieht es auf der Ebene der öffentlichen Gesundheit aus. Hier kann es sehr wohl Sinn machen, durch Angabe von Inhaltsstoffen das Essverhalten auf breiter Front zu beeinflussen und damit gesellschaftliche Effekte zu erzielen. Für den Einzelnen sind meiner Einschätzung nach die Kalorienzahl sowie viel Bewegung das Entscheidende.

STANDARD: Man hat manchmal den Eindruck, dass schon fast alles krebserregend sein könnte. Ist der Stellenwert, den die Angst vor Krebs in unserer Gesellschaft, in Ihren Augen gerechtfertigt?

Antes: Grundsätzlich natürlich schon, da eine Krebserkrankung einen Einschnitt im Leben bedeutet, wie er kaum dramatischer sein kann. Nur kann der Schluss daraus nicht sein, sich 24 Stunden am Tag mit Krebsangst zu beschäftigen. Diese Angst wird an vielen Stellen geschürt, nicht nur durch Scharlatane und Geschäftemacher, sondern auch durch scheinbar seriöse Vorschläge zur Prävention. Dort werden vielfach Dinge versprochen, deren Einhaltung oft zweifelhaft und vielfach ohne jede wissenschaftliche Begründung ist. Wir müssen einerseits akzeptieren, dass Krebs etwas Schicksalhaftes ist. Andererseits gibt es mehr Hoffnung auf eine erfolgreiche Therapie durch die Weiterentwicklung der Medizin.

STANDARD: In der europäischen Umwelt- und Gesundheitspolitik gilt das Vorsorgeprinzip. Das heißt Belastungen sollen vermieden werden, auch wenn die Wissensbasis noch unvollständig ist. Kann das Wissen je vollständig sein?

Antes: Nein, nie. Das wäre nur möglich bei völligem Stillstand jeder Entwicklung, was natürlich reine Theorie ist. Und selbst wenn die Menschheit dazu fähig wäre, würde die Natur nicht mitspielen und uns laufend mit neuen Wissenslöchern konfrontieren, wie man ja gegenwärtig an den Fragen zur Klimaveränderung gut beobachten kann. Wir werden mit wachsendem Tempo mit unvollständigem Wissen konfrontiert. Ein Grund dafür ist, dass jedes neue Wissen gleichzeitig neue Fragen und Nichtwissen erzeugt. Gleichzeitig muss man feststellen, dass wir großenteils erstaunlich unfähig sind, Wissen gezielt zu erzeugen und es dann in optimaler Weise einzusetzen. Alle Welt redet von Digitalisierung, wenn man jedoch auf die Details unserer vermeintlichen Wissenswelt schaut, wird einem eher der Eindruck von mittelalterlichen Strukturen vermittelt. Die unbeantworteten Fragen zur Schädlichkeit von Glyphosat sind ein Beispiel dazu.

STANDARD: Glyphosat wurde in der EU für weitere 18 Monate zugelassen. Werden dann bessere Daten vorliegen?

Antes: Das lässt sich nur spekulativ beantworten und erhebliche Skepsis ist sicherlich angebracht. Zwei Gründe sind dafür wesentlich: Einmal sind solche wissenschaftlich belastbaren Studien zur Schädlichkeit grundsätzlich schwierig und in 18 Monaten kaum zu realisieren, zumal ja gerade auch Langzeiteffekte eine zentrale Fragestellung sind. Noch hinderlicher ist vermutlich jedoch, dass hier enorme Geldsummen von diesen Untersuchungen betroffen sind und sein werden. Das bedeutet: massivste Interessenkonflikte, durch die Beeinflussungen auf die Ergebnisse und deren Interpretation zu erwarten sind. (Andrea Fried, 22.9.2016)