Flexibilität könne verunsichern, aber auch motivieren: Der Einzelne solle sich selbst als jemand erfahren, der den Lauf der Dinge beeinflussen kann, sagt Christoph Meinel.

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Meinel: "Man muss den stumpfen Befehlsempfänger durch den kooperierenden Mitarbeiter ersetzen."

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STANDARD: Das Hasso-Plattner-Institut hat in Kooperation mit der Stanford University den neuen Führungskräftelehrgang "Leading Digital Transformation and Innovation" gestartet. Wie verändert die Digitalisierung Chefaufgaben?

Meinel: Die digitale Transformation durchdringt zunehmend alle Bereiche und beschleunigt unser Leben und die Arbeitswelt. Auch Führungskräfte stehen durch die rasante Entwicklung vor völlig neuen Herausforderungen. Mit unserem Programm möchten wir sie in die Lage versetzen, die Vorteile und Chancen der Digitalisierung zu erkennen und die notwendigen Innovationsprozesse in ihren Unternehmen anzuschieben. Als Führungskraft muss ich mich auf die neue Geschwindigkeit der Datenströme einstellen und wissen, wie ich sie für meinen Geschäftserfolg nutzen kann. Beispielsweise Daten aus Produktionsprozessen: Wie kann ich sie sammeln und auswerten, und wie lassen sich daraus Rückschlüsse für den Produktionsprozess ziehen? Führen wird mit diesen Möglichkeiten zu einer noch viel größeren Herausforderung? Geschwindigkeit wird uns aufgezwungen. Man kann sich nicht dagegenstellen und sagen: Ich mache weiter wie bisher. So wird man leicht abgehängt.

STANDARD: Nun sind die meisten heutigen Führungskräfte sogenannte "Digital Immigrants", wurden nicht mit dem Digitalen groß. Ist Digital Leadership letztlich eine Generationenfrage?

Meinel: Das glaube ich nicht. Denn vor diesen Herausforderungen stehen alle, die Alten wie die Jungen. Mit dem Digitalen groß geworden zu sein bedeutet noch nicht, auch ein Verständnis dafür zu haben. Junge Menschen können hervorragend mit ihren Smartphones umgehen, wissen aber oftmals nicht, wie sie funktionieren, dass beispielsweise alle unsere Smartphone-Aktivitäten in einer Cloud stattfinden. Das sind Themen, mit denen jede Führungskraft in Zukunft befasst sein wird. Um IT-Techniken steuern zu können, benötigen Führungskräfte ein Grundverständnis in allen digitalen Belangen.

STANDARD: Wirtschaftliches Verständnis reicht also längst nicht mehr aus.

Meinel: Der MBA war die passende Ausbildung im letzten Jahrhundert. Eine Ausbildung in diesem Jahrhundert muss auch den Bereich der IT-Technologie umfassen und Bereiche ansprechen wie Cloud-Computing, Datensicherheit, Big Data und das Internet der Dinge. Es braucht auch das Wissen, wie man eine Idee umsetzt: Entrepreneurial Thinking, unternehmerisches Denken. Führungskräfte in großen Firmen müssen stärker wie Start-up-Gründer agieren, wenn sie ihre Unternehmen erfolgreich am Markt halten wollen. Sie benötigen außerdem die Fähigkeit, Prozesse und Produkte immer wieder zu überdenken, innovativ zu verändern.

Unsere Methode zur Innovationsentwicklung ist das Design-Thinking. Dieser sehr nutzerzentrierte Ansatz empfiehlt, sehr gründlich zu evaluieren: Wer ist mein Nutzer, woran fehlt es ihm, wie kann man ihn unterstützen? Was wünscht er sich? Es geht darum, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Übrigens macht das ein interdisziplinäres Team besser als ein Einzelner. Dort ringt man nicht um jede kleine technische Optimierung, sondern stimuliert sich, wirklich neue Ansätze zu denken.

STANDARD: Wie nimmt man Mitarbeitern die Angst vor dem ständig Neuen?

Meinel: Hierarchische Strukturen, die sich in der "old economy" etabliert haben, behindern in der digitalisierten Welt oftmals Innovationen. Kollaboratives Arbeiten und der Teamgedanke helfen, Dinge schneller zu erkennen, besser zu diskutieren, breiter zu bewerten und auch Menschen bei den Veränderungen mitzunehmen. Das ist eine wichtige Aufgabe: nicht im Kommandoton Aufgaben zu verordnen, sondern die Mitarbeiter als Kollegen zu animieren, nicht nur ihre Aufgabe zu erfüllen, sondern sich darüber hinaus mit eigenen Ideen einzubringen.

Flexibilität kann verunsichern, aber auch motivieren: Der Einzelne soll sich selbst als jemand erfahren, der den Lauf der Dinge beeinflussen kann. Und jeder ist für den Gesamterfolg mitverantwortlich. Man muss den stumpfen Befehlsempfänger durch den kooperierenden Mitarbeiter ersetzen. Start-ups schaffen das übrigens sehr gut.

STANDARD: Hört sich an, als müssten Führungskräfte mehr denn je reife Persönlichkeiten sein: anpassungsfähig, in der Lage, Autorität auch abzugeben...

Meinel: Führungskräfte müssen sich ihrer Verantwortung bewusst sein. Ihnen muss klar sein, dass sie auch für den Erfolg ihrer Mitarbeiter verantwortlich sind und nicht nur für den eigenen. Wie gut Führung heutzutage gelingt, hat auch etwas mit Bildung zu tun. Früher hat man studiert, und damit war die Ausbildung abgeschlossen. Heute muss man ständig dazulernen, um mit den explosionsartigen Neuentwicklungen mithalten zu können. Führungskräfte sollten ihre Mitarbeiter hierbei im eigenen Interesse unterstützen und die Vorteile der Teamarbeit für sich erkennen.

STANDARD: Stichwort Teams: Auch die verlagern sich ja immer stärker ins Virtuelle. Wie geht man als Führungskraft damit um?

Meinel: Das ist eine wirklich große Herausforderung. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass, wenn man einander einmal in die Augen geschaut hat, dann auch gut über virtuelle Kanäle zusammenarbeiten kann. Die Schwierigkeit in globalen Unternehmen ist auch, sich permanent auf andere Zeitzonen und kulturelle Unterschiede einzustellen. Nur wer damit umzugehen versteht, wird als Führungskraft Erfolg haben.

STANDARD: Ebenfalls ein aktuelles Thema: die "digitale Depression". Gerade Führungskräfte müssen up to date bleiben, permanent kommen E-Mails an. Was hilft?

Meinel: Von verordnetem Abschalten halte ich nichts. Man muss, jeder für sich, eine Technik entwickeln, mit den Medien umzugehen. Ich empfehle für E-Mails, sehr schnell zu reagieren, um sie gleich abgearbeitet zu haben. Gleichzeitig darf man sich aber nicht in Arbeitsabläufen von einlaufenden E-Mails stören lassen. Auch was Branchenneuigkeiten betrifft, muss man seinen eigenen Aufnahmerhythmus finden. Es braucht auch genügend Ruhephasen. Das müssen jeder Einzelne und wir als Gesellschaft gemeinsam lernen.

Wir sind die erste Menschengeneration der Digitalisierung. Der Umstieg vom Pferdewagen aufs Auto war ein großer Schritt, es brauchte halt breitere Wege und ging schnell. Der Einstieg in die digitale Welt ist aber deutlich größer. Dort gelten völlig neue Regeln, und wir stehen vor noch nie dagewesenen Herausforderungen. Wir können uns nicht umschauen, um zu sehen, wie die Generationen vor uns damit umgegangen sind. Deshalb aber zu sagen, wir lassen das, wird nicht funktionieren – die positiven Effekte der Digitalisierung sind allzu offensichtlich. (Lisa Breit, 27.9.2016)