Lyngby – Grönlands verliert mehr Eis als bisher angenommen. Eine internationale Forschergruppe konnte nachweisen, dass bei der Bestimmung der Eismassenbilanz Grönlands mit der Satellitenmission GRACE die so genannte viskoelastische Hebung der Erdkruste nicht korrekt modelliert und abgezogen wurde. Damit steigt der Wert für die Eisverluste zwischen 2004 und 2015 von 253 auf durchschnittlich 272 Milliarden Tonnen pro Jahr.
Das Team hat mit einem neuen Netzwerk aus GPS-Stationen die Hebungen des Untergrunds nun zum ersten Mal präzise vermessen. Die Landhebung resultiert aus der langsamen und verzögerten Ausgleichsbewegung der Lithosphäre nach dem Rückgang der Eismassen seit der letzten Eiszeit.
Solche Landhebungen sind zum Beispiel in Skandinavien zu beobachten, wo vor rund 20.000 Jahren noch kilometerdicke Eismassen lagen, die über die Ostsee bis ins heutige Deutschland reichten. Auch der grönländische Eisschild war zu Zeiten der stärksten Vereisung weitaus mächtiger als heute, weswegen der Untergrund dort damals einsank und sich heute wieder hebt.
Die Hebungsrate hängt von der Mächtigkeit des Eisschildes sowie von der Beschaffenheit der Lithosphäre ab, und hier haben die Modellrechnungen bislang vermutlich eine Besonderheit außer Acht gelassen: Der Untergrund unter Grönland ist vor rund 40 Millionen Jahren im Zuge der großen Plattenbewegungen über einen "Hotspot" im Erdmantel hinweggeglitten. Heute befindet sich Island mit seinen Vulkanen und heißen Quellen über diesem Hotspot. Aus dieser Jahrmillionen zurückliegenden Erhitzung des grönländischen Untergrunds rührt eine dünnere Lithosphäre als beispielsweise unter Skandinavien.
Meeresspiegelanstieg von 4,6 Metern
Möglich wurde die direkte Messung der Landhebung zum ersten Mal durch ein dichtes Netz von GPS-Beobachtungspunkten. Die GPS-Stationen wurden unter der Leitung von Shfaqat A. Khan von der Technical University of Denmark in Lyngby im Rahmen des GNET-Projekts auf Grundgestein in dem oft widrigen Gelände angebracht und regelmäßig besucht. Die Forscher haben damit gezeigt, dass die mit GPS gemessene Landhebung deutlich höher ist als in bisherigen Modellrechnungen. Dieses Ergebnis deutet auf einen massiveren Gletscherrückgang seit der letzten Eiszeit hin. Bisher ging die Wissenschaft davon aus, dass das schmelzende Grönlandeis seit dem glazialen Maximum 3,2 Meter Meeresspiegelanstieg verursacht hat. Die neue Studie korrigiert diesen Wert auf rund 4,6 Meter.
Besonders starke Abweichungen fanden die Wissenschafter im Nordwesten und Südosten Grönlands. Da dort die Gletscher direkt in den Ozean kalben und dort auch heute die größten Eismassenverluste stattfinden, ist die Klimasensitivität dieser Regionen wahrscheinlich höher als gedacht. Vermutlich, so die Forscher wird das schwindende Grönlandeis noch über Jahrhunderte hinweg zum Meeresspiegelanstieg beitragen. (red, 23.9.2016)