Wie viele Flüchtlinge auf dem zwölf Kilometer vor der Küste von Raschid gekenterten Schiff zusammengepfercht waren, blieb auch am Donnerstag unklar. Während die ägyptischen Behörden von 400 Menschen sprachen, sprachen Überlebende von bis zu 550 Passagieren. Die Rettungskräfte konnten bislang 51 Leichen bergen und 169 Personen, davon 114 Ägypter, sicher an Land bringen. Vier Mitglieder der Besatzung befinden sich in Polizeigewahrsam. Die Fluchtroute über das Mittelmeer von Ägypten nach Italien ist ein etablierter Weg, für den sich in den vergangenen Jahren etwa ein Zehntel der Ankömmlinge in Europa entschieden hatte.

In den vergangenen Monaten ist diese Flüchtlingsbewegung angeschwollen – Italien spricht von einer Verdoppelung. Rund 12.000 Menschen sind in diesem Jahr über Ägypten nach Italien gelangt, 70 Prozent von ihnen aus Ländern des subsaharischen Afrika. Wie erwartet hat die Schließung der Balkanroute im März den Druck auf andere Routen erhöht.

Hinzu kommt aber auch die sich verschärfende Krise in Ägypten, insbesondere in der Fischereiindustrie, die immer mehr Menschen in die Flucht treibt. Ein besonders Phänomen sind in Ägypten die Jugendlichen. Weil Erwachsene kaum Chancen haben, in Italien bleiben zu können, machen sich jetzt vor allem verzweifelte Teenager auf den Weg, für die es spezielle Regelungen gibt. Bis zu zwei Drittel der Ägypter, die nach Italien gelangen, sind Jugendliche, die auf ein ganzes Netzwerk von Helfern und Schleusern bauen können.

EU prüft Deal mit Ägypten

Die ägyptische Marine hat in den vergangenen Monaten ihre Patrouillen massiv verstärkt und mehrere Fluchtversuche vereitelt. Kairo möchte dafür finanzielle Unterstützung erhalten. Nur etwa drei Prozent der Aufwendungen für die rund 200.000 registrierten Flüchtlinge im Land am Nil werden abgegolten. Die EU prüft, mit Ägypten und anderen nordafrikanischen Ländern ein Flüchtlingsabkommen ähnlich jenem mit der Türkei zu schließen und dafür über acht Milliarden Euro an Unterstützung zu gewähren. Von Italien werden regelmäßig Ägypter in ihre Heimat zurückgeführt.

Ägyptens Präsident Abelfattah al-Sisi, der kürzlich von fünf Millionen Flüchtlingen in seinem Land sprach, hat diese Woche bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York erklärt, seine Regierung sei entschlossen, den Migrantenstrom von Nordafrika nach Südeuropa einzudämmen und dabei auf internationale Zusammenarbeit gepocht. Man arbeite daran, den Flüchtlingen achtbare Bedingungen zu bieten, ohne sie in Camps zu isolieren.

EU-Parlamentspräsident Schulz will Abkommen mit Ägypten

Auch der EU-Parlamentspräsident Martin Schulz wirbt für ein Flüchtlingsabkommen mit Ägypten. "Diesen Weg müssen wir einschlagen", sagte Schulz der "Süddeutschen Zeitung" vom Freitag. Der Schutz der Flüchtlinge und die Bekämpfung des Schlepperwesens müssten im Vordergrund stehen.

Ein Gesetz gegen illegale Migration, dessen Text noch nicht bekannt ist, soll in den nächsten Wochen ins ägyptische Parlament kommen. Damit würden erstmals Schlepper kriminalisiert. Die rechtliche Lage von Migranten, die aufgegriffen und inhaftiert werden, ist derzeit unklar. Einmal werden sie kriminalisiert, ein anderes Mal in administrative Haft überstellt, bis sie abgeschoben werden können. (Astrid Frefel aus Kairo/red, 22.9.2016)