Alen R. hört sich all die erschütternden Zeugenerinnerungen reglos an.

Foto: Erwin Scheriau / APA-Pool

Graz – Allmählich öffnen die scharfen Fragen des Gerichts die Türen in die Wahnwelt des Alen R. Ein wenig beginnt sich nun das Geschehen an jenem 20. Juni 2015 aufzuhellen, als Alen R. bei seiner Amokfahrt durch die Grazer Innenstadt drei Menschen getötet und dutzende verletzt hatte.

Es gibt, so lässt sich jetzt im Verlauf der Verhandlung im Grazer Straflandesgericht herauslesen, neben der Welt der Panik und des Verfolgtwerdens, die Alen R. nach eigenen Angaben im Banne gehalten habe, auch eine Welt des Realen, in der er sehr klar gehandelt haben muss und sein Auto beherrscht durch die Straßen gelenkt hat.

Alen R. beteuert beharrlich, er habe die Herrschaft über den Wagen verloren und wollte eigentlich nur zur innerstädtischen Polizeiinspektion Schmiedgasse, weil er Schüsse gehört und sich verfolgt gefühlt habe und in Panik geraten sei. Dabei habe er versehentlich Menschen gestreift.

"Er hat ihn anvisiert"

Am Donnerstag weinen viele Zeugen. Männer wie Frauen. Sie erzählen von genau gegenteiligen Wahrnehmungen. Der grüne Geländewagen sei routiniert gelenkt worden und zielgerichtet auf die Menschenmenge in der Fußgängerzone zugefahren. "Ich sah das Auto direkt auf mich zukommen und konnte mich nur noch durch einen Sprung retten. Dann hat der Lenker bewusst die Richtung geändert und ist auf den Motorradfahrer zugesteuert. Das war ganz deutlich. Er ist absichtlich auf die andere Seite und hat ihn anvisiert. Dann hat er Passanten voll von hinten touchiert."

"Es hat mich wegkatapultiert"

Ergriffen, als sei es erst vor ein paar Stunden passiert, erinnert sich eine Frau mittleren Alters: "Ich hab bei einem Serviettenständer gustiert, und plötzlich ist der Wagen schräg übers Straßenbahngleis auf mich zugekommen. Es hat mich wegkatapultiert. Die Leute haben geschrien. Mein erster Gedanke war: Das ist ein Attentat."

Auch alle anderen Zeugen sprechen an diesem Tag von sehr eindeutigen, gezielten, anvisierten Attacken, der Lenker habe sogar die Fahrtrichtung geändert, um Menschen zu treffen. Wie den fünfjährigen Valentin. Halswirbel, Brustwirbel abgerissen, Leber zerrissen, er war sofort tot, sagte der Gerichtsmediziner. Ein Zeuge sah, wie der Kleine durch die Luft gewirbelt wurde, eine Lehrerin, die ein Jahr unbezahlte Karenz genommen hat, erinnert sich tränenerstickt: "Ich kann das Bild nicht vergessen. Ich kann nicht verstehen, wie einer, der selbst Familienvater ist, ein kleines Kind totfahren kann. Das Kind hat ausgesehen, als würde es schlafen, die Hände zur Seite gestreckt."

Das Trauma bleibt

Viele der Zeugen sahen in Todesangst den Wagen auf sich zurasen. Sie tragen das Trauma nach wie vor mit sich.

Ein junger Rotkreuzsanitäter, der seither nicht mehr Auto fährt, kann auch heute noch nur stockend über alles reden. Er ist, wie viele andere auch, noch immer in psychotherapeutischer Behandlung. Eine ältere Dame, die das Grauen direkt miterlebte, die sah, wie Menschen durch die Luft flogen, Schwerverletzte am Boden lagen und verzweifel versucht wurde, dem Buben zu helfen, steht auch heute noch in ärztlicher Behandlung. Das Auto hatte sie gestreift. Sie muss abermals operiert werden.

Und Alen R.?

Richter Andreas Rom: "Sie haben gehört, dass die Zeugen sagten, Sie hätten sie zielgerade anvisiert. Was sagen Sie dazu?"

Alen R.: "Es tut mir leid, ich kann mich nicht mehr erinnern." (Walter Müller, 23.9.2016)