Die alten Kapitänshäuser auf Sylt erzielen heute Rekordpreise. Aber anschauen bei einem Wattspaziergang kostet ja nichts.

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Die Strandkörbe gehören dazu.

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Das Wetter wechselt schnell, selbst wenn es einmal kurz nieselt, scheint im nächsten Moment schon wieder die Sonne.

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Die Schafe betreiben mit Inbrunst Landschaftspflege.

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Der Blick aufs Wattenmeer

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Wie grüßt man eigentlich auf Sylt? Rolf Paulsen, umtriebiger Naturführer auf der nordfriesischen Insel, macht es gerne vor. "Moin", sagt er knapp. Der einstige Seemannsgruß leite sich von "Moin Wind" her, erklärt Paulsen, man könne ihn den ganzen Tag über verwenden, weil er mit dem "Morgen" gar nichts zu tun habe, sondern "gut" bedeute. Keinesfalls, da ist Paulsen streng, sage man "Moin, Moin" – das wäre geschwätzig. Und das gilt unter Syltern als Todsünde.

Das Problem dabei: Eigentlich gibt es kaum mehr "Ureinwohner" auf Sylt, die Preise für die Häuser auf der Nobelinsel, dem Rückzugsort der betuchten Hamburger und Düsseldorfer, sind exorbitant. Deshalb kann es sich kaum jemand leisten, hier zu leben. Täglich pendeln zwischen 4.000 und 5.000 Menschen über den Hindenburgdamm vom Festland zum Arbeiten nach Sylt. In der Hochsaison kann die nur 38 Kilometer lange Nordseeinsel ziemlich voll werden. Daher stellt sich die Frage: Wann und wo verbringt man ein möglichst ruhiges Wochenende auf der "Königin der Nordsee", wie Sylt auch genannt wird?

1. Ins Watt und zum Kliff

Rolf Paulsen ist natürlich auch zugewandert: Als Soldat wurde der gebürtige Husumer 1973 an die damalige Marineversorgungsschule nach List versetzt. In seiner Pension absolvierte er dann eine Ausbildung als Natur- und Landschaftsführer. Die Traumstrände im Westen lassen wir links liegen, Paulsen schlägt eine Wattwanderung an der ruhigeren Ostküste vor – das perfekte Programm für die Nebensaison. Das Morsum-Kliff steht unter Naturschutz und ist ideal, um Sylt von seiner rauen Seite kennenzulernen. Hier weht ein strenger Wind, die Luft riecht salzig. Man fühlt sich wie am Ende der Welt, obwohl der Parkplatz gleich um die Ecke liegt.

"Eigentlich sind es drei verschiedene Landschaften, die sich hier auftürmen, eine Art Zeitreise, die wir machen können", erklärt Paulsen und weist auf die unterschiedlichen Farbschattierungen der Erdschichten hin, die gelb, rot und schwarz schimmern. Dann holt der Guide aus, um die natürlichen Feinde des Kliffs aufzuzählen: Urlauber, die nicht auf den gekennzeichneten Wegen bleiben, Sturmböen, die sich in letzter Zeit häufen, und Unwetter. Dieser Ort ist erbarmungslos Wind und Wetter ausgesetzt, wie einst die Seefahrer, die auf Sylt lebten.

2. Zurück zu den Walfängern

Eine halbe Stunde Autofahrt, und man befindet sich auf einem der geschichtsträchtigsten Pflaster der Insel: Keitum war der reichste Ort, damals, als der Walfang noch die Haupterwerbsquelle war. Die alten Kapitänshäuser aus dem 18. Jahrhundert haben noch heute die typischen reetgedeckten Dächer. Mittlerweile erzielen sie Rekordpreise von zwölf Millionen Euro, und weil die historische Bausubstanz erhalten bleiben muss, bauen viele einfach in die Tiefe. Bis zu drei Stockwerke geht es dann in den Keller, jüngst habe jemand sogar einen tropischen Garten unterirdisch angelegt, geht das Gerücht.

Keitum wirkt wie ein Open-Air-Museum, fast zu schön, um die brutalen Walfangzeiten lebendig werden zu lassen. Deshalb empfiehlt sich der Besuch des kleinen Heimatmuseums: Der Torbogen, durch den man in den Garten gelangt, besteht aus den Unterkieferknochen eines Finnwals. Im Inneren des alten Kapitänshauses von 1759 sind typische Trachten, Harpunen, alte Tabakdosen und wertvolles Porzellan ausgestellt.

3. In die Kirche von Keitum

Highlight jedes Sylt-Besuchs ist die 1216 erbaute Sankt-Severin-Kirche in Keitum, die wie eine Festung wirkt. Man könnte sich gut vorstellen, dass hier ein Zombie-Film gedreht wird und sich alle Dorfbewohner in der historischen Wehranlage verschanzen. Sämtliche Türklinken verweisen auf die Seemannstradition und sind kleine Wale aus Metall; der Innenraum ist karg und imposant. Und auf dem umliegenden Friedhof finden sich die Grabsteine von ehemaligen Seefahrern und Kapitänen, aber auch Verlagsgründer Peter Suhrkamp und "Spiegel"-Herausgeber Rudolf Augstein ruhen hier prominent.

4. Lokale Produkte kosten

So viel Frischluft macht hungrig: Das letzte Haus vor dem Morsum-Kliff ist ein Restaurant, das zudem mit 13 geräumigen Zimmern ausgestattet ist. Diesen Juli wurde das Landhaus Severins Morsum Kliff, ein kleiner Ableger des Fünfsternehotels Severins Resort und Spa, das sich in Keitum befindet, eröffnet. Abends, wenn die Wanderer wieder abgezogen sind, ist es hier besonders einsam.

Im gemütlichen Restaurant gibt es gehobene Landhausküche aus lokalen Produkten, bei der das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt. Fast fühlt man sich wie auf einem Dampfer, der ruhig auf dem Meer gleitet. Am schönsten aber ist das Aufwachen, der Blick aus dem Bad auf das Wattenmeer, die Heide und die wilden Kaninchen, die sich unter dem Fenster tummeln.

5. Allein unter Schafen

Eine Herde zotteliger Schafe grast seelenruhig auf der Heide. Fenna Ovken, eine junge Schäferin, passt auf die Tiere auf, die einen wichtigen Job zu erledigen haben. "Sie wurden zur Landschaftspflege engagiert", erzählt Fenna. "Sie fressen die Rosensträucher und Hagebutten, die alles überwuchern würden." Von Anfang April bis Ende Oktober muss sie jeden Tag mit den Tieren raus, bei jedem Wetter.

Natürlich sind viele Wanderer neugierig, was sie mache. Sie erzählt dann, dass Schäferin ein aussterbender Beruf sei, dass es aber noch immer eine dreijährige Ausbildung gebe. Nur eine Frage nervt sie bereits: "Wie viele Schafe sind das eigentlich?" Deshalb trägt sie manchmal ein T-Shirt, auf dem 503 steht.

Linda, das Leitschaf, ist neugierig geworden und kommt auf dem Besucherweg herangerannt. Sie war schon Fotomodell für einen Werbespot, der für ein Sylter Hotel gedreht wurde. Die beiden Schäferhunde wuseln geschäftig um die Herde herum. "Der kleine ist mein Azubi", scherzt Fenna. "Er nimmt seinen Job manchmal fast zu ernst und macht aus lauter Übereifer Fehler." Aber die Hunde schauen so glücklich aus wie die Schafe, die mit Inbrunst Landschaftspflege betreiben, bis sie irgendwann in ferner Zukunft eines völlig natürlichen Todes sterben werden.

6. Mit dem Rad nach Morsum

Fahrräder gehören wie Austern zu Sylt. Die meisten Gäste haben allerdings Angst vor Gegenwind, der durchaus heftig werden kann, deshalb liegen Elektrobikes im Trend. Ein normales Fahrrad tut es aber auch, um die kurze Strecke vom Landhaus in den Ort Morsum, der eher ein langes Straßendorf ist, zu gelangen. Das Wetter wechselt schnell, selbst wenn es einmal kurz nieselt, scheint im nächsten Moment schon wieder die Sonne. Dann ist ein Stopp in einer der besten Konditoreien von Sylt angesagt.

Jürgen Ingwersen ist ein Stück Sylter Backkultur, der nette Gastgarten nur im Hochsommer überfüllt. Kein Wunder, ist man hier doch genau richtig, um Spezialitäten wie die Friesentorte auszuprobieren. Die Schichttorte aus Mürbteig, Blätterteig, Pflaumenkompott und Schlagobers ist ziemlich üppig und gibt Kraft. Da kann es am Heimwege ruhig stürmen. "Moin Wind", sagen wir dann – wie echte Sylter Seemänner. (Karin Cerny, 25.9.2016)