Überheblich und gewissenlos sei die Elite, schreibt Bernhard Heinzlmaier. Dekadenzzuschreibung an "die Eliten", welche der Jugendkulturforscher tugendbefreit und bar jedweden Interesses für "normale Menschen" einordnet – Zwischentöne exklusive.

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Der "durchschnittliche Businessmensch" kriegt im neuen Buch auch sein Fett ab: "Die Identität des Businessmenschen ist ein Puzzle aus Abziehbildern, die den Funktionen entsprechen. Faszinierend, in welcher Gleichförmigkeit sie sich kleiden, denken, verhalten. Gleiche Wohnungen, Autos, Anzüge, Parfums. Langweilig."

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STANDARD: Nach dem Lesen Ihres neuen Buches will man das Wort "Elite" wirklich nicht mehr aussprechen. Ihnen zufolge ruinieren diese "unsere Gesellschaft". Was regt Sie dermaßen auf?

Heinzlmaier: Die Politik ist zu einer Ansammlung von handlungsunfähigen hohlen Gefäßen verkommen. Das Äußere der Parteien sieht adrett und artig aus, innen sind sie verrottet und heruntergekommen. Rückgratlos mit perverser Lust an der Subordination unter die Macht des Mainstreams. Die Milieus der Ober- und Mittelschicht passen sich der politischen Kultur der Unaufrichtigkeit opportunistisch an und lügen im Privat- und Berufsleben zum eigenen Vorteil, dass sich die Balken biegen. Sie haben jede Verbindung zu den klassischen bürgerlichen Tugenden wie Ehrlichkeit, Treue und Anständigkeit gekappt.

STANDARD: Total amoralisch?

Heinzlmaier: Ob Mensch oder Natur – alles wird den Ego-Eliten unserer Tage zum Mittel für den persönlichen Zweck. Rücksicht nehmen sie nur auf sich selbst.

STANDARD: Überspitzt gesagt ...

Heinzlmaier: Ja, auch auf ihre Familien, Lebenspartnerinnen – aber die werden irgendwann auch getauscht gegen attraktivere Varianten. Solcher Wert des Lebens orientiert sich halt primär an Äußerlichkeiten. Schöner Schein, egozentrischer Lustgewinn, wirtschaftlicher Erfolg.

STANDARD: Rührt daher die große Schadenfreude, wenn es einmal einen "erwischt"?

Heinzlmaier: Ja, die Zusammenbrüche und Niederlagen der dekadenten Wirtschaftswelt sind unsere kleinen Freuden des Alltags, die uns gleichzeitig das Gefühl geben, dass es doch eine höhere Gerechtigkeit gibt. Wir normalen Bürger, die in der Regel zu den Opfern dieser überheblichen und gewissenlosen Eliten gehören, gönnen ihnen jede Niederlage, jede Qual von Herzen. Es meldet sich ja auch das Gewissen – viele Spitzenrepräsentanten in Politik und Wirtschaft leiden unter Depressionen. Wer nicht zum Neurologen geht, versucht sich zu betäuben, ständig abzulenken, im Zirkel seinesgleichen zu bestätigen.

STANDARD: Auch nicht moralisch vorbildlich. Ist in den Milieus "unterhalb" der Mittelschicht etwas besser?

Heinzlmaier: Die reagieren anders auf den Niedergang der Moral in Politik und Wirtschaft und auf die gleichzeitige Erhebung von Manierismen zu den bestimmenden Kriterien für persönlichen Erfolg und gesellschaftlichen Status, und zwar nicht mit Anpassung, sondern mit radikaler Abgrenzung.

STANDARD: Das Potenzial für die rechtspopulistische Gegenöffentlichkeit?

Heinzlmaier: Mit der Pegida-Bewegung und der AfD, der FPÖ: ja – um nichts weniger widerlich als verlogene Wirtschafts- und Kultureliten, positioniert allerdings radikal gegen das oberlehrerhafte Beschönigungs- und Wahrheitsverdrehungskartell in Politik und Medien. Der Begriff "Lügenpresse" ist das Symbolwort, mit dem sozial unterprivilegierte Gruppen der Gesellschaft ihre Elitenkritik zum Ausdruck bringen. Sucht man nach Gemeinsamkeiten zwischen Eliten und dem Volk, dann sieht man eine optimale Ergänzung zweier ängstlicher, mutloser, dekadenter Formationen. Als Entschädigung für ihre Selbstunterdrückungsleistung gönnen sie sich den Luxus, sozial Schwächere, Migranten, Flüchtlinge abzuwerten, wo es geht.

STANDARD: Der "durchschnittliche Businessmensch" kriegt im neuen Buch auch gehörig Fett ab.

Heinzlmaier: Weil er und sie die Autonomieansprüche weitgehend aufgegeben haben. Das ist das Elend. Sie lassen sich freudig fernsteuern, durch Arbeitgeber, Modeindustrie, Filmindustrie, Freizeitindustrie. Die Identität des Businessmenschen ist ein Puzzle aus Abziehbildern, die den Funktionen entsprechen. Faszinierend, in welcher Gleichförmigkeit sie sich kleiden, denken, verhalten. Gleiche Wohnungen, Autos, Anzüge, Parfums. Langweilig. Das geht mit dem Grundproblem in Politik und Wirtschaft zusammen, dass Führungskräfte meinen, sie müssten selber nicht mehr denken, weil sie eh Berater haben. Aber die sind oft Scharlatane.

STANDARD: Liegt die Hoffnung also auf den Jungen, auf dem Nachwuchs, auf der aufbegehrenden Generation Y?

Heinzlmaier: Also erstens: Es gibt keine Generation Y oder Generation Z. Das ist eine Dummheit der Wirtschaft – es gibt ihn nicht, den Arbeitnehmer der Zukunft, der Arbeitsmarkt ist heterogener denn je. Das Spektrum ist sehr breit, von Durchreisenden, die lediglich Kohle wollen, bis zu Loyalen, Sicherheitsgetriebenen. Was es aber leider gibt, ist eine einseitige Ausbildung auf den Wirtschaftsunis ohne menschenbildende Fächer. Denken wird nicht gelehrt, nur mehr vermeintlich nützliches Wissen, die Ausbildungen werden mutloser, enger. Alles folgt dem Imperativ des am persönlichen Erfolg ausgerichteten Handelns.

STANDARD: Dazwischen gibt es aber schon ein paar "normale" Menschen.

Heinzlmaier: Ja, die gibt es. Aber die interessieren die Eliten nicht. Sie werden tendenziell verachtet, sind suspekt, weil sie in diesem Gefüge keine Ambitionen haben, sich so nicht anpassen wollen. (Karin Bauer, 27.9.2016)