In den Reihen der Farc herrscht vor der Unterzeichnung des Friedensvertrags Optimismus.

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Entscheidend wird sein, wie Farc-Chef Timochenko auf Abweichler in seinen Reihen reagiert, sagt Wissenschafter Maihold.

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Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos wird den historischen Akkord unterzeichnen.

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Nach mehr als fünfzig Jahren zeichnet sich ein Ende des Bürgerkriegs in Kolumbien ab. Nachdem die Rebellen der Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (Farc) und die Regierung im August auf Kuba ein Friedensabkommen ausgearbeitet haben, soll am Montag mit den Unterschriften von Präsident Juan Manuel Santos und Rebellenchef Rodrigo Londoño Echeverri alias Timochenko der blutige Konflikt beendet werden. Der deutsche Lateinamerika-Forscher Günther Maihold erklärt im Interview, warum ein dauerhafter Friede trotzdem harter Arbeit bedarf.

STANDARD: Für Farc-Führer Timochenko stellt das Friedensabkommen für Kolumbien klar, dass es in dem jahrzehntelangen Konflikt zwischen seiner Guerillagruppe und dem Staat weder Sieger noch Verlierer gibt. Hat er recht?

Maihold: Ich denke schon, weil ja gerade diese Einsicht Voraussetzung war, dass es überhaupt zu einem Friedensprozess gekommen ist. Die Einsicht der Guerilla einerseits, dass man dem erstarkten Staat militärisch nichts mehr entgegenzuhalten hat, und die Einsicht der Regierung andererseits, dass man trotz der massiven Hilfe der USA nicht imstande war, Kontrolle über das gesamte Territorium herzustellen, könnte nun Frieden bringen.

STANDARD: Schon vor dreißig Jahren versuchte die Farc sich in den politischen Prozess einzugliedern, Paramilitärs ermordeten daraufhin reihenweise ihre Kandidaten. Wie kann man verhindern, dass sich dieses blutige Kapitel der Geschichte wiederholt?

Maihold: Entscheidend wird sein, ob die Einbeziehung der kolumbianischen Gesellschaft in den Friedensprozess gelingt. Derzeit sind die Konstellationen noch stark vom Motiv der Rache und der Vergeltung gekennzeichnet, es sind noch viele Emotionen im Spiel. Klar ist, dass jahrzehntealte Wunden wieder aufbrechen werden, darum ist Versöhnung auf lokaler Ebene essenziell, um zu verhindern, dass angesichts der großen Verbreitung von Waffen viele Menschen zu Selbstjustiz greifen. Die Bevölkerung muss den Eindruck gewinnen, dass die Justiz alles dafür tut, die Schuldigen für die Menschenrechtsverletzungen auch tatsächlich zur Rechenschaft zu ziehen.

STANDARD: Wie weit ist man mit der Eingliederung der Kämpfer in die Zivilgesellschaft?

Maihold: Viele Jugendliche und junge Erwachsene in Kolumbien haben nur das Kriegshandwerk erlernt, sei es bei den Guerillas oder bei den Paramilitärs. Darum beinhaltet der Friedensvertrag auch, dass man sie möglichst schon unmittelbar nach ihrer Entwaffnung in Bildungsprogramme integriert, teils geht es um Alphabetisierung, teils um berufliche Ausbildung. Das ist ein ganz entscheidender Faktor, um diese jungen Leute von kriminellen Kreisen fernzuhalten, der einen massiven Kraftakt der Regierung, aber auch der internationalen Gemeinschaft erfordert.

STANDARD: Gibt es Beispiele aus der Region, in denen dieser Prozess geglückt ist?

Maihold: Das ist sehr schwierig, weil es in Kolumbien noch einige weitere Akteure gibt, die an der Gewalt beteiligt waren und mit denen es noch keinen Friedensprozess gibt. Es gibt etwa noch die zweite große Guerillagruppe Ejército de Liberación Nacional (ELN), es gibt die kriminellen Banden, genannt Bacrim, es gibt auch nach wie vor bewaffnete Paramilitärs. Die Existenz all dieser Gruppen ist natürlich eine große Versuchung für Kämpfer, die sich einer Entwaffnung entziehen wollen. Gleichzeitig versprechen sie sich eine bessere Verhandlungsposition, wenn sie möglichst viele Kämpfer in ihren Reihen haben und womöglich Territorien kontrollieren, die jetzt von der Farc geräumt werden. Diese komplexen Rahmenbedingungen machen die Situation in Kolumbien anders als andere Friedensprozesse in der Region. Darum ist der Frieden, der jetzt möglicherweise zwischen der Regierung und der Farc erreicht wird, nur ein Teilfrieden.

STANDARD: Die Guerilla ist in den unterentwickelten, abgelegenen Provinzen am stärksten. Wie kann man diese Gegenden nachhaltig stabilisieren?

Maihold: Entscheidend ist die Geschwindigkeit, in der die Regierung in den Regionen, in denen sie historisch keine oder kaum Präsenz hatte, sichtbar wird. Nicht nur durch Militär und Polizei, sondern auch durch soziale Dienstleistungen wie Gesundheits- und Erziehungswesen. Das wird nur möglich sein, wenn die lokalen Beteiligungsprozesse, wie sie im Friedensvertrag formuliert sind, rasch und erfolgreich anlaufen. So soll verhindert werden, dass sich lokale Machthaber und alte Guerillastrukturen erneut als einzige Akteure festsetzen. Wir stehen vor einem sehr schwierigen und sehr teuren Prozess der Staatsbildung, wie wir ihn vergleichbar etwa auch in Afghanistan beobachten.

STANDARD: Wie sieht es mit den anderen Guerillagruppen aus?

Maihold: Vor allem die ELN beobachten den Friedensprozess mit der Farc natürlich genau, für sie ist es entscheidend zu sehen, wie es weitergeht, wenn sich eine Guerillagruppe auf Frieden einlässt. Gerade mit der ELN ist es aber weit schwieriger zu verhandeln, weil sie dezentraler strukturiert ist als die Farc. Die Bewährungsprobe des jetzigen Friedens ist gleichzeitig die Voraussetzung für Frieden mit den anderen Gruppen.

STANDARD: Einzelne Farc-Kommandanten haben bereits erklärt, dem Staat nicht zu trauen, und wollen weiterkämpfen. Hat Timochenko seine Leute unter Kontrolle?

Maihold: Das ist genau die Bewährungsprobe, vor der Kolumbien jetzt steht. Wir wissen nicht, wie weit das Zentralkommando der Farc in der Lage ist, die einzelnen Gruppen an sich zu binden. Entscheidend ist, wie man auf Abweichler reagiert, die sich nicht an den Friedensvertrag halten. Einige wurden schon ausgeschlossen und den Sicherheitsorganen übergeben.

STANDARD: Am 2. Oktober soll das Volk über den Friedensvertrag abstimmen. Haben Sie eine Prognose?

Maihold: Nach den letzten Umfragen würde ich von einer deutlichen Mehrheit für den Vertrag ausgehen. Entscheidend ist aber, inwiefern die einzelnen gesellschaftlichen Gruppen sich für Frieden einsetzen und dies nicht als Aufgabe betrachten, die man an den Staat delegieren kann. Ohne das Engagement des Einzelnen wird es zu keinem dauerhaften Frieden in Kolumbien kommen. (Florian Niederndorfer, 25.9.2016)