Mira Lobes Lebenswerk umfasst mehr als 100 Bücher für Kinder unterschiedlichen Alters.

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Die Geschichte "Dann rufen alle Hoppelpopp" erzählt vom Wettbewerb zwischen Freunden und dem Besser-sein-wollen-als der Andere.

Foto: G&G Verlag

Mira Lobe
Das große Mira Lobe Vorlesebuch

Illustriert von Angelika Kaufmann
G&G Verlag 2016
164 Seiten, 24,99 Euro

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Kinderbücher zu schreiben und zu produzieren sei nach der Liebe das zweitbeste Gefühl, sagte Mira Lobe einmal. "Da fühlt man sich leben." Ihre Geschichten erzählen von Hilfsbereitschaft und Teamgeist, Mut und Autoritätskritik, Sehnsucht und Gerechtigkeit – und stehen dabei immer auf der Seite der Kinder. Ihr Lebenswerk umfasst mehr als 100 Bücher für Kinder unterschiedlichen Alters. Sie sind längst zu Klassikern der Kinderliteratur geworden und wurden in über 30 Sprachen übersetzt. "Der tiefere Sinn der Schreiberei für Kinder ist meiner Meinung nach der, dass sie zur Selbstbestimmung gebracht werden sollen," schrieb Lobe.

Von Außenseitern und Schwachen

Zum Beispiel durch die Geschichte von Kanikl, Könikl, Kinikl, Kaunikl und Kunikl. Das sind fünf Kaninchen, die jeden Tag miteinander spielen, das Essen teilen und sich aneinanderkuscheln, wenn sie müde sind. Eines Tages kommt Hoppelpopp und fragt: "Wer von euch ist der Schnellste, der Mutigste, der Geschickteste, der Klügste?" Und von da an geht der Wettbewerb zwischen ihnen los, wer denn der Beste von ihnen sei. Mit den Verlierern will keiner mehr zu tun haben. "Dann rufen alle Hoppelpopp" ist eine der sechs Geschichten, die der neu erschienene Sammelband "Das große Mira Lobe Vorlesebuch" vereint. Illustriert ist der Band von Angelika Kaufmann, die in einprägsamen Bildern die jeweiligen Themen aus verschiedenen Blickwinkeln visualisiert.

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Darunter auch die Erzählung "Komm, sagte der Esel". Sie handelt von einem Esel, der schwer zu tragen hat unter der Last, die ihm sein Herr täglich auflädt. "Er packt mir viele Sachen auf und setzt sich dann noch obendrauf. Kisten und Kasten und Kannen, Betten und Besen und Wannen, Schirme und Schüsseln und Pfannen. Dies und das und sonst noch was." Bis der Esel einen Freund findet, der ihm sagt, dass er sich nicht alles gefallen lassen muss, und ihm zeigt, wie man sich wehrt. Sie werfen die Last ab, beißen den Strick durch und laufen davon. "'Und wohin?' 'Dorthin, wo wir’s besser haben!', sagt mein Freund."

Oder der Klassiker "Komm, sagte die Katze", in dem eine Katze nach heftigen Regenfluten alle vorbeischwimmenden Tiere aus dem Hochwasser rettet und auf ihrem Baumstamm aufnimmt. Klug und einfühlsam erklärt Mira Lobe darin, dass man denjenigen, die in Not geraten sind, hilft. Und dass jeder einen sicheren Ort zum Leben braucht. Sie tut dies ohne erhobenen Zeigefinger, ohne moralischen Impetus, aber immer mit Poesie und Sprachwitz.

Sozialkritische Haltung und Menschenliebe

Mirjam Hilde Rosenthal, wie Lobe mit Mädchenname hieß, wurde 1913 in Görlitz in Schlesien geboren. Ursprünglich wollte sie Journalistin werden, wurde aber als Jüdin im nationalsozialistischen Deutschland nicht zum Germanistik- und Kunstgeschichtsstudium zugelassen. Stattdessen lernte sie Maschinenstickerei an der Modeschule Berlin. 1936 flüchtete sie nach Palästina. Dort schrieb sie nach der Geburt ihrer Kinder mit knapp 30 Jahren ihr erstes Kinderbuch "I-Hajeladim" ("Die Kinderinsel"), das zuerst auf Hebräisch, später unter dem Titel "Insu-Pu" auf Deutsch erscheint. In den 1950er-Jahen kehrte sie zurück nach Wien. In dieser Zeit erschienen neben Kinderbüchern auch zahlreiche Beiträge in der Kinderzeitung "Unsere Zeitung" (UZ), die von der KPÖ-nahen "Demokratischen Vereinigung Kinderland" herausgegeben wurde. Ihre Bücher wie "Die Omama im Apfelbaum" oder "Das kleine Ich-bin-ich" gelten als Ikonen der Kinderbuchliteratur. Mira Lobe starb 1995 in Wien.

Ihren Büchern liegt eine selbstverständlich wirkende Liebe zum Menschen zugrunde. Sie wolle Geschichten schreiben, die Sehnsucht machen, schreibt sie im Jahrbuch des Österreichischen Buchklubs der Jugend 1974: "Ich stelle mir ein Kind vor, das satt und zufrieden im Schaukelstuhl sitzt und eine Geschichte liest. Die Geschichte handelt von einem Kind, das Flechten von den Bäumen schabt, um seinen Hunger zu stillen. 'Gibt es das wirklich?', fragt das satte Kind. 'Ja, das gibt es wirklich!', sagt die Geschichte. Da ist das Kind nicht mehr so zufrieden. 'Das dürfte es aber nicht geben‘, sagt es und bekommt große Sehnsucht nach einer Welt, in der es gerechter zugeht. Und es nimmt sich fest vor, für so eine Welt zu sorgen, wenn es erst groß ist ..." (Christine Tragler, 24.9.2016)