Autorin Ottessa Moshfegh wird von der Literaturkritik in den USA als "Next Big Thing" gehandelt. "McGlue", ihr wuchtiges Debüt von 2014, liegt jetzt in deutscher Übersetzung vor.

Foto: Krystal Griffiths

Wien – Man muss davon ausgehen, dass Gefängnisse nicht unbedingt Orte der stillen Einkehr und Reue sind. Zu viel Zeit und zu wenige Ablenkungsmöglichkeiten laden selten dazu ein, dass sehr wahrscheinlich nicht ganz unschuldige, sozio- und psychopathisch veranlagte Untersuchungshäftlinge einsichtig und besserungswillig werden. In der angloamerikanischen Literatur hat dies US-Autor Hubert Selby Jr. schon 1971 mit seinem erschütternd zu lesenden inneren Monolog The Room (dt.: Mauern) vorgeführt. Aktuell ist etwa The Cab Driver (dt.: Hoffnung ist Gift) des in den USA lebenden Schotten Iain Levison von 2012 in Erinnerung.

Ganz neu ist also die Ausgangslage nicht, wenn die junge, in Los Angeles lebende US-Autorin Ottessa Moshfegh das Genre des auch von Stadttheatern gern recht schnell und günstig mit einem einzigen Bühnenbild adaptierten Sololaufs im Zeichen des Klagenhagels und Kaputtredens in einer Einzelzelle variiert. Man braucht sich nicht allzu sehr auf Ortswechsel zu konzentrieren, und das Personengeflecht erschließt sich im günstigsten Fall durch den Tunnelblick des Protagonisten Richtung Vergangenheit sowie einer brüsken Ablehnung von Schuldhaftigkeit; Selbstrechtfertigung und Amoklauf gegen System und Justiz inklusive.

Im Falle Ottessa Moshfeghs und ihres mit 141 Seiten erfreulich schlanken Debüts McGlue begeben wir uns zurück ins beflissentlich recherchierte Jahr 1851 – und hier zur christlichen Seefahrt. Seemann McGlue wacht eines Tages im Hafen von Sansibar blutig und mit einigen weiteren von einer Schlägerei lockeren Zähnen im Bauch des Frachtschiffes auf, auf dem er arbeitet. Der schwere Trinker hat in der Nacht zuvor angeblich seinen Freund Johnson erstochen. Nun wird er rund um den halben Globus zurück in seine puritanische Heimatstadt Salem, Massachusetts, gebracht werden, wo ihm der Prozess gemacht werden soll.

Freund Johnson war dort ein Sohn aus bestem Hause, der freiwillig gesellschaftlich abstieg und zum einfachen Matrosen und exzessiven Saufbruder McGlues wurde. Die Chancen für McGlue stehen also schlecht. Wegen eines Sprungs aus einem fahrenden Zug hat sich McGlue einige Jahre zuvor außerdem den Schädel gespalten. Die Schädeldecke ist offen. Darin zischeln die Schlangen, die man nur mit Schnaps betäuben kann oder indem man mit den Fingern im Loch herumbohrt.

Blackouts und Gewalt

Auf schwerem Entzug brechen der Wahnsinn, die Halluzinationen und der Welthass endgültig durch. Es ist atembetraubend und wuchtig erzählt und wohl nicht als Erbauungslektüre geeignet: McGlue resümiert sein tristes Leben voller Blackouts und Gewalt und kommt in seinem Drang zur Selbstauslöschung zum Schluss: "Ich stehe. Ich stehe und bete, nur um zu sehen, was passiert. Ich lege die Hand aufs Herz, anders beten kann ich nicht. Ich bin mir sicher, dass nichts wirklich Böses in meinem Herzen ist. Es ist einfach nur leer."

In der Zelle in Salem erfüllt sich schließlich sein Schicksal. It's getting darker, but it's not dark yet. (Christian Schachinger, 24.9.2016)