Teilnehmerin einer Veranstaltung für Angehörige von im Krieg verschleppten Personen in Medellín.

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Von ihm aus überblickt man die gesamte Region. Der Cerro del Indio, der Indianerhügel, liegt strategisch perfekt an einer wichtigen Verbindungsstraße in der Provinz Antioquia, unweit von San Francisco. Was die malerischen Felder und sattgrünen Kakaoplantagen im Hinterland von Medellín nicht erahnen lassen: Hier wütete der Bürgerkrieg besonders schlimm. Der schwer verminte Indianerhügel war seit 1995 eine inoffizielle Grenze. Dahinter begannen die Kokafelder, deren Kontrolle abwechselnd die linke Guerilla und rechte Paramilitärs innehatten.

Mittendrin lag der Weiler Boquerón. 55 Familien, hauptsächlich arme Bauern, waren dort Geiseln. Die Trampelpfade waren vermint, die Straße blockiert. Wer Koka anbaute, musste den Kriegstreibern "Steuern" für das Vorprodukt von Kokain bezahlen, wer nicht, wurde von ihnen mehr oder weniger nachdrücklich dazu angehalten. Dreimal wurden sie vertrieben, einmal von den Paramilitärs, dann von der Guerilla, dann durch eine Militäroperation. Den Zurückgebliebenen machte das verminte Terrain zu schaffen. "Ich hatte immer Angst, wenn ich aufs Feld ging. Viele Bekannte sind verstümmelt oder durch Minen getötet worden", erzählt Kakaobauer Norberto Morales.

Historischer Vertrag

Heute versuchen er und 18 weitere Familien einen Neuanfang, ebenso ängstlich wie hoffnungsvoll – so wie auch in Kolumbien ein neues Kapitel eingeleitet wird: Nachdem die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc) und die Regierung in Bogotá sich Ende August nach jahrelangen Verhandlungen auf ein Friedensabkommen geeinigt hatten, will Farc-Kommandant Timoleón Jiménez ("Timochenko") ihn heute, Montag, zusammen mit Präsident Juan Manuel Santos unterzeichnen. Die Bevölkerung soll am 2. Oktober darüber abstimmen.

In Antioquia förderte das katholische Hilfswerk Misereor drei Jahre lang das Rückkehrerprojekt. "In der Stadt hatten wir keine Arbeit. Wir lebten zusammengepfercht unter Wellblechdächern", erzählt Morales. Voriges Jahr wurde San Francisco für "minenfrei" erklärt – als eine der ersten Gemeinden überhaupt.

Kolumbien war jahrzehntelang ein Land, in dem täglich mehr Minen gelegt als geräumt wurden. Vor allem für die Guerilla waren die Minen ein billiges Mittel, um ihre Einflussgebiete gegen das technisch überlegene Militär abzusichern. Über 300 solcher Landminen hat das Räumkommando auf 340.000 Quadratmetern im Umkreis der Landgemeinde San Francisco gefunden. Nirgendwo in Kolumbien gibt es mehr Landminenopfer als in Antioquia. In den vergangenen 25 Jahren starben allein in dieser Provinz 2483 Menschen durch Landminen oder wurden verstümmelt, in ganz Kolumbien sind es über 11.000. Teil des Friedensabkommens zwischen den linken Rebellen und der Regierung ist die Säuberung der betroffenen Landstriche.

Kosten für Wiederaufbau

"Das wird Milliarden kosten, und wir könnten die gesamte von der EU zugesagte Hilfe von einer halben Milliarde Euro dafür aufwenden, hätten aber trotzdem nur einen Bruchteil gereinigt", sagt Francisco García von der EU-Vertretung in Bogotá. Insgesamt dürfte der Wiederaufbau 31 Milliarden US-Dollar kosten, schätzen Experten. Alleine in San Francisco waren 70 Soldaten sieben Jahre lang mit der Minenräumung beschäftigt. Rund 670 Gemeinden gelten im ganzen Land als betroffen. Bis 2021 wird die Räumung nach Schätzung der Regierung dauern.

Die Minenräumung ist aber erst der Anfang, wie in Boquerón klar wird. Die Regierung hat dort bisher eine Stromleitung gelegt und die zerbombte Grundschule wiederaufgebaut. Um den Aufbau ihrer Häuser und die Neubepflanzung der Felder kümmern sich die Familien aus eigener Kraft. Zurückgekommen sind vor allem die Älteren. Jüngere, wie Morales Neffe Álvaro, sind zu traumatisiert. Sein älterer Bruder wurde im Krieg von Militärs verschleppt, umgebracht und anschließend als "erschossener Rebell" den Medien präsentiert. (Sandra Weiss aus Antioquia, 26.9.2016)