Milorad Dodik und Unterstützer feiern am Sonntag den Ausgang des Referendums.

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STANDARD: Bei einer Volksabstimmung haben sich die bosnischen Serben am Sonntag laut dem vorläufigen Ergebnis zu knapp 99,80 Prozent für den umstrittenen 9. Jänner als Nationalfeiertag der Republika Srpska ausgesprochen. Überrascht Sie die Zahl?

Vedran Dzihic: Nein. In der Republika Srpska wurde in der letzten Zeit massiv Meinungsbildung betrieben, die auf dem Freund-Feind-Gegensatz aufgebaut war. Dieser Nationalfeiertag wurde als zentrale Errungenschaft der Republika Srpska inszeniert. Das hat dazu geführt, dass alle, die zur Wahl gegangen sind, für den Feiertag gestimmt haben. Die Wahlbeteiligung war allerdings nicht sehr hoch, und man muss auch dazusagen, dass diejenigen, die die politische Taktik hinter dem Referendum gesehen haben, nicht zur Wahl gegangen sind.

STANDARD: Im Herbst stehen in Bosnien lokale Wahlen an. Das Referendum soll über die schlechte Regierungsbilanz von Milorad Dodik, dem Präsident der Republika Srpska, hinwegtäuschen?

Dzihic: Es stand um Dodik in den letzten Jahren in den Meinungsumfragen sehr schlecht. Die Arbeitslosigkeit ist angestiegen, sozioökonomisch ist die Situation sehr angespannt, zusätzliche Kredite mussten aufgenommen werden. Das spüren die Menschen. Dodiks Partei (SNSD) wird bei den Wahlen vermutlich die absolute Mehrheit verlieren. Ohne diese ethnonationalistische Mobilisierungskampagne wäre das Ergebnis aber vermutlich noch schlechter. Seine politische Haut wird Dodik aber noch retten können.

STANDARD: Die internationale Gemeinschaft und die EU sehen nur zu. Warum?

Dzihic: In einer frühen Phase hat man versucht, mit moralischen Appellen das Referendum zu verhindern oder über den serbischen Premier Aleksandar Vučić auf Dodik einzuwirken. Das hat keine Früchte getragen. Die Internationale Staatengemeinschaft war in der Frage auch gespalten, weil Russland sich dagegen gewehrt hat, dass man das Referendum stoppt. Die andere Strategie setzte auf eine Isolation Dodiks, um ihn dadurch politisch zu schwächen. Ob das wiederum Früchte trägt, ist noch fraglich.

STANDARD: Die bosnische Verfassung von Dayton ist eine mit zahlreichen Schwächen, die die ethnischen Probleme in Bosnien-Herzegowina nach dem Krieg fortgeschrieben hat und bis heute einzementiert. Vertreter der anderen beiden Landesteile haben schon offen ein Ende von Dayton ausgerufen. Was wäre der Ausweg?

Dzihic: Es gab ja schon zu Beginn der Zweitausenderjahre unter dem Hohen Repräsentanten Wolfgang Petritsch eine positive Dynamik hin zu einer schrittweisen Verbesserung von Dayton mit dem Hintergrund, daraus eine EU-tauglichere Verfassung zu machen. Das Problem heute liegt darin, dass ein Aufmachen der Verfassung zum aktuellen Zeitpunkt und mit der aktuellen politischen Dynamik dem Öffnen einer Büchse der Pandora gleichkommt. Dann könnte die Republika Srpska Richtung Sezession gehen. Daher lautet die Devise der Internationalen Staatengemeinschaft: Wir greifen den Vertrag von Dayton nicht an und verhindern damit einen konfliktbeladenen Prozess. Das bewirkt natürlich eine fortgesetzte Agonie, die noch lange andauern kann.

STANDARD: Was könnte man tun, um das Verhältnis zwischen Bosniaken, Serben und Kroaten ohne Vertragsveränderung zu stabilisieren?

Dzihic: Die toxische Energie, die bei allen drei Leadern der Nationalparteien im Staatspräsidium zu sehen ist, muss weg. Es müsste also als Erstes einen Leadershipwechsel geben. Und dann müsste der interne Prozess vor allem von der EU intensiv mit Anreizen begleitet werden. Die EU hat sich ja bereits zum Verhandlungsweg mit Bosnien entschieden. Man könnte Bosnien dann mit neuen politischen Köpfen zu einem zentralen Land der – derzeit nicht existierenden – EU-Erweiterungsstrategie machen.

STANDARD: Dodik hat sich letzte Woche mit Putin getroffen. Was bedeutet der zunehmende Einfluss Russlands für Bosnien?

Dzihic: Russland versucht ja schon seit einigen Jahren, hier gegen die EU als Störfaktor zu agieren. Letztendlich wird dieses "Stören" aber nicht durch das Einbringen von Ressourcen untermauert. Die Politik wird immer noch stärker von den USA und der EU beeinflusst. Wenn man sich zu mehr politischem Mut durchringen könnte, ließe sich diesen russischen Spielchen leicht die Luft entziehen. (mhe, 26.9.2016)