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Baustellen gibt es derzeit nicht nur in der unmittelbaren Umgebung des Kremls, sondern auch im russischen Regierungsapparat. Präsident Wladimir Putin belohnt und bestraft Vertraute – oder testet ganz einfach deren Loyalität.

Foto: Reuters / Maxim Zmeyev

Kinderüberraschung im Kreml: Am Wochenende häuften sich die Gerüchte über eine Versetzung des Ex-Premiers Sergej Kirijenko auf den Posten des Vizechefs der Präsidialverwaltung. Die auf den ersten Blick unscheinbar anmutende Stelle ist ein Schlüsselposten, formuliert deren Inhaber doch die Akzente der russischen Innenpolitik und entscheidet wichtige Kaderfragen. Kirijenko auf dem Posten wäre eine Überraschung. Aber das war schon seine Ernennung zum Premier.

Damals, 1998, war er gerade einmal 35 – der jüngste Ministerpräsident in der Geschichte Russlands – und einer der unglücklichsten: Kurz nach seinem Amtsantritt wurde das Land vom Staatsbankrott heimgesucht, und Kirijenko hatte einen neuen Spitznamen: "Kinderüberraschung".

Alles "reine Spekulation"

Inzwischen ist er 54 und dem Kinderalter endgültig entwachsen. Aus dem liberalen Politiker ist der effiziente Manager eines Staatsunternehmens geworden. Als Chef der russischen Atombehörde derzeit in Wien weilend, nannte er Berichte über seine Versetzung "reine Spekulation".

Doch ganz ähnliche Spekulationen über seinen möglichen Vorgänger Wjatscheslaw Wolodin hatten sich schließlich als wahr erwiesen. Dieser wird Chef der neuen Duma. Ob die Versetzung für den 52-Jährigen eine Beförderung oder Degradierung bedeutet, daran scheiden sich, wie oft in Putins Russland, die Geister. Der Politologe Alexander Morosow spricht von Herabsetzung. Wolodin habe trotz einer erfolgreichen Wahlkampagne seinen Hut im Kreml nehmen müssen, weil er keinem der Clans um das mächtige Viereck Igor Setschin (Rosneft-Chef), Viktor Tschemesow (Rostech-Chef), Sergej Schoigu (Verteidigungsminister) oder Premier Dmitri Medwedew angehöre.

Der Ökonom Wladislaw Inosemzew sieht in Wolodins Berufung eine Bewährungsprobe und bescheinigt ihm den Status als Nachfolgekandidat Putins.

Wolodin ist nicht der Einzige, der einen Fahrschein für das Personalkarussell gelöst hat. Putin hat im Zuge der Duma-Wahlen gleich eine ganze Reihe von Umbesetzungen vorgenommen, mit denen er Loyalität und Fähigkeiten der Untergebenen testet – und sich von einigen in die Jahre gekommenen Vertrauten trennt. Am härtesten traf es den in Korruptionsaffären verstrickten Zollchef Andrej Beljaninow, der gefeuert und durch den Geheimdienstler Wladimir Bulawin ersetzt wurde.

Buntes Wechselspiel

Anderen wurde die Degradierung durch neue Posten versüßt: Der bisherige Duma-Chef Sergej Naryschkin wird Chef der Auslandsspionage. Sein Vorgänger dort, Michail Fradkow, kann sich nun Aufsichtsratschef der russischen Eisenbahn nennen. Sergej Iwanow, lange einer der engsten Vertrauten Putins, bleibt nach seiner Demission als Kanzleichef Berater, nachdem er von Anton Waino, einem Bürokraten, ohne politische Ambitionen, ersetzt wurde.

Der Kremlchef wird 2018 wohl noch einmal als Präsident kandidieren, doch 2024 muss er – vorausgesetzt, die Verfassung wird nicht erneut geändert – den Posten räumen. Schon 2008, als Putin erstmals pro forma ins zweite Glied rücken musste, veranstaltete er ein ähnliches Casting für den Platzhalter. Der damals unterlegene Iwanow ist nun aus dem Spiel, auch Medwedew werden nur Außenseiterchancen eingeräumt.

Als neue Bewerber gelten in den Medien die frisch ernannten Gouverneure von Tula und Kaliningrad, Alexej Djumin und Jewgeni Sinitschew, beide zuvor Leibwächter Putins. Mit Spannung verfolgt werden in Russland auch die Entwicklungen im Ermittlungskomitee. Sollte dessen Chef Alexander Bastrykin, ein Studienkollege Putins, tatsächlich gehen müssen, dürfte auch dessen Nachfolger zum Kandidatenkreis gezählt werden. (André Ballin aus Moskau, 27.9.2016)