Wer bekommt das größte Stück? Um das Erbe von Rudolf-August Oetker wetteifern zahlreiche Halbgeschwister. Das Imperium rund um Pizza, Pudding und Backwaren mit seinen 31.000 Mitarbeitern braucht einen neuen Konzernchef. Die Suche zieht sich. Die Familie ist sich ob der weiteren Unternehmensstrategie uneinig.

Foto: Richard Rudisill

Wien – Dem Tiroler Glockengießer Grassmayr gelingt, woran andere Unternehmen reihenweise scheitern: seinen Betrieb an die nächste Generation weiterzureichen. 14-mal ist der Wechsel in den vergangenen 417 Jahren geglückt. Die 15. Generation hilft bereits mit, und bei Großaufträgen packen Senior, Kinder und Enkel gemeinsam an.

Mit einem Hollywoodstreifen lasse sich die Geschichte seines Betriebs nicht vergleichen, sagt Johannes Grassmayr. Letztlich aber habe alles eine gute Wendung genommen, während rundum Mitbewerber an internen Konflikten zugrunde gingen. "Die Familie hat eben immer zusammengehalten" – ob in Zeiten des Dreißigjährigen Krieges, in Jahren der Pest oder während der beiden Weltkriege. Auch wenn nun oft über das harte Umfeld geklagt werde – im Vergleich zu den Krisen der Vergangenheit muteten aktuelle Herausforderungen geradezu paradiesisch aus.

Grassmayr gießt in Innsbruck Glocken und Klangschalen mit 25 Mitarbeitern, denen er, wie er betont, viel am Fortbestand seines Unternehmens verdanke. Die Glocken läuten in mehr als 100 Ländern, eine der größten Europas ist gerade in Arbeit. Auch die Klangschalen der Tiroler sind bei Orchestern weltweit im Einsatz.

Ein Patentrezept, wie sich Jahrhunderte weitgehend unbeschadet überdauern lassen, hat Österreichs ältester handwerklicher Familienbetrieb nicht. Bei jeder Entscheidung freilich werde abgewogen, wie sie sich in drei Jahrzehnten niederschlagen könnte. "Und mein Vater meint, es braucht immer auch ein bisserl Segen von oben", sagt Grassmayr, "vor allem wenn es darum geht, Kinder zu haben, die mitmachen wollen."

Viele Köche

An ihnen freilich spießt es sich oft. Die Liste prominenter Konzerne, die gern als das Rückgrat der Wirtschaft hochgehalten werden, zugleich aber von familiären Fehden gebeutelt werden, wird stetig länger. Für den jüngsten Konflikt, der breit in die Öffentlichkeit hinausgetragen wird, sorgt Dr. Oetker. Kaum ein Markenanbieter ist in Deutschland bekannter: 31.000 Mitarbeiter und zwölf Milliarden Euro Umsatz zählen zum Bielefelder Imperium rund um Pudding, Pizza und Backwaren. Doch was fehlt, ist das Rezept für den richtigen Nachfolger. Die Erben sind sich seit Jahren uneinig – die Halbgeschwister liegen bezüglich der Unternehmensstrategie im Clinch.

Rudolf-August Oetker, der Enkel des Firmengründers, hinterließ bei seinem Tod acht Kinder aus drei Ehen. Sohn Richard muss den Chefsessel heuer laut Statuten mit 65 Jahren verlassen. Die übrigen Halbgeschwister trennen zum Teil gut 40 Lebensjahre.

Es ist vor allem die Zusammenarbeit zwischen alter und jüngerer Generation mit unterschiedlichen Wertvorstellungen, die Konflikte schürt, sagt Julia Süss-Reyes vom Forschungsinstitut für Familienunternehmen der Wirtschafts-Uni Wien. Dazu käme die Rollenvermischung zwischen Familienmitgliedern, Managern und Eigentümern, die nach jeweils eigenen Logiken agierten. Was Lösungen erschwere – etwa wenn es um Fragen rund um den Umgang mit Kapital, finanzielle Ausschüttungen, Nachfolger, nichtaktive Familienmitglieder und Angeheiratete gehe.

Dass die Rettung in Stiftungen liegt, bezweifelt Süss-Reyes. "Viele Unternehmen sehen diese mittlerweile sehr kritisch und wollen aus ihnen heraus." Denn sie fühlten sich um ihre Mitspracherechte gebracht, praktisch enteignet. Die Wissenschafterin rät zu einem Governance-Kodex, einer Art Verfassung und Leitfaden für die Führung von Familienbetrieben. Diese seien in den USA bereits stärker verbreitet als hierzulande.

Anwälte verdienen gut

Haribo, Bahlsen, VW – in allen drei Fällen verdienten allein Anwälte gut am bösen Blut innerhalb der Familienbande. Mit Zank unter Verwandten sorgten auch die Drogeriekette Müller, der Kaffeeröster Tchibo und Diskonter Aldi stetig für Schlagzeilen. Unvergessen der Krieg bei Ottakringer, als der Schwager des Bierbarons Engelbert Wenckheim sein Aktienpaket an den Erzfeind verkaufte.

Beim Raststättenbetreiber Rosenberger mündeten Familiendifferenzen nach dem Tod des Gründers in der Teilung in konkurrierende Betriebe. Zu bisher unüberbrückbaren Zerwürfnissen zwischen Vater und Sohn kam es beim Seilbahnbauer Doppelmayr. Auch im Haus Esterházy bekämpft sich die Familie vor Gericht.

Johannes Grassmayr liefert derweil Glocken bis nach China und vertraut darauf, dass das Feuer des Unternehmertums auch auf seine Enkel überspringen wird. Das sei, wie er meint, weitaus wichtiger als Lösungen wie Stiftungen, "die wohl eher eine kurzfristige Modeerscheinung" seien. (Verena Kainrath, 27.9.2016)