Bratislava – Großbritannien macht Front gegen Bestrebungen der EU, in der Verteidigungspolitik enger zusammenzurücken und ein EU-Hauptquartier für zivile wie militärische Kriseneinsätze einzurichten. "Wir werden weiter jedes Vorhaben einer europäischen Armee oder eines EU-Armeehauptquartiers ablehnen", sagte Verteidigungsminister Michael Fallon am Dienstag vor einem Treffen mit seinen EU-Kollegen in Bratislava.

"Europa ist mit Hauptquartieren übersät, wir brauchen nicht noch eins davon", fügte er hinzu. Sein Land lehne auch den Aufbau einer europäischen Armee ab, der die NATO schwächen würde. Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und ihr französischer Kollege Jean-Yves Le Drian dagegen betonten, ihre Initiative richte sich nicht gegen die NATO und diene auch nicht dem Aufbau einer europäischen Armee, sondern allein einer besseren Handlungsfähigkeit der EU, die auf Probleme wie die Ebola-Epidemie viel zu langsam reagiert habe.

"NATO-Strukturen zunicht duplizieren"

Fallon zeigte sich davon unbeeindruckt. "Sobald wir die EU verlassen haben, können wir die anderen Länder nicht von einer stärkeren Integration abhalten", erklärte Fallon, der für den Verbleib seines Landes in der EU geworben hatte. "Aber solange wir in der EU sind, werden wir uns gegen alle unnötigen Schritte auflehnen, NATO-Strukturen zu duplizieren." Die Verteidigung Europas sei Sache der NATO, nicht der EU.

Zwar drohte Fallon nach Angaben der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini in den Beratungen mit seinen Amtskollegen nicht mit einer Blockadehaltung Großbritanniens. Sein Land sei sich mit Polen, Schweden, den Niederlanden, Lettland und Litauen einig, dass es keinen Bedarf gebe, existierende NATO-Einrichtungen noch einmal in der EU aufzubauen, betonte er jedoch vor Journalisten. Großbritannien hatte schon früher eine engere Integration der EU in Verteidigungsfragen blockiert. Viele Osteuropäer fürchten ebenfalls eine Schwächung der NATO.

Stoltenberg gelassen

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg reagierte dagegen gelassen auf die auch von der EU-Außenbeauftragten verfolgten Pläne zur Stärkung der Gemeinschaft. "Es gibt keinen Widerspruch zwischen einer starken Verteidigung Europas und einer starken NATO", sagte er. Wichtig sei, dass keine Doppelstrukturen entstünden.

Neben Frankreich und Deutschland, die kurz vor dem EU-Gipfel am 16. September in Bratislava mit einem eigenen – freilich auf Mogherinis Plänen aufbauenden – Konzept vorgeprescht waren, hat auch Italien am Dienstag eigene Pläne für eine Verteidigungskooperation vorgelegt. Zu den stärksten Verfechtern einer EU-Armee gehören zudem die Visegrad-Staaten Ungarn und Tschechien.

Da die EU im Umgang mit der Migration und bei etlichen anderen Themen zerstritten ist, gilt die Verteidigungspolitik derzeit als einziger Bereich, in dem eine Verständigung über eine engere Integration noch möglich scheint. Eine Einigung wäre ein wichtiges Signal für die Zukunftsfähigkeit der EU auch nach dem Brexit. Großbritannien behält bis zu seinem Austritt volles Stimmrecht in der EU, kann eine engere Kooperation in der Verteidigungspolitik aber nicht allein blockieren, da darüber mit einem Mehrheitsentscheid abgestimmt wird.

Dies ist in den Artikeln 42 und 46 des Vertrages von Lissabon festgeschrieben. Demnach kann die eine kleinere Staatengruppe die EU-Verteidigungspolitik nach einer vorherigen Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit im EU-Rat ausbauen. Je nachdem, ob der Antrag von den Mitgliedstaaten kommt oder von der EU-Außenbeauftragten, müssen von den EU-Mitgliedern 72 Prozent (20 Länder) oder 55 Prozent (15 Länder) für den Start der Zusammenarbeit stimmen. Im beiden Fällen müssen sie für mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen.

Von der Leyen und Le Drian widersprachen Fallons Vorwurf, sie strebten insgeheim den Aufbau einer europäischen Armee an. "Im Gegenteil: Es geht darum, die unterschiedlichen Stärken der europäischen Länder besser zusammenzufassen, damit wir gemeinsam schnell handlungsfähig sind", sagte von der Leyen. In der Ebola-Krise habe sich gezeigt, dass Europa zu langsam sei. Dabei habe die Gemeinschaft den großen Vorteil, über einen umfangreichen Werkzeugkasten mit zivilen und militärischen Instrumenten zu verfügen und Krisen so von mehreren Seiten bekämpfen zu können.

Die Steuerung militärischer und ziviler Mittel aus einer Hand ist ein Argument der Befürworter eines ständigen europäischen Hauptquartiers. Bisher existieren in der EU fünf operative Hauptquartiere, auf die die Gemeinschaft zurückgreifen kann – in Northwood, Potsdam, Rom, dem französischen Mont Valerie und im griechischen Larissa. Sie werden aber bei jedem Einsatz neu mit Personal aus den einzelnen Staaten bestückt, was Wochen bis Monate dauert. Deutschland und Frankreich streben zudem den Aufbau eines gemeinsamen Sanitätskommandos mit einem verlegbaren Hospital und einer europäischen Drehscheibe für den See-, Luft- und Landtransport bei Militäreinsätzen an.

Neben Italien, Ungarn und Tschechien stellen sich nach Angaben aus Diplomatenkreisen auch Spanien, Rumänien und Portugal hinter die deutsch-französische Initiative. Grundsätzlich seien alle Teilnehmer des Treffens für eine Stärkung der europäischen Verteidigung gewesen, unklar sei nur das Ausmaß, sagte ein Diplomat. Größter Streitpunkt sei das Hauptquartier.

Österreich hatte sich auch vor dem Hintergrund der in der Verfassung verankerten Neutralität zuletzt weitgehend aus der Diskussion herausgehalten. Allerdings fordert die ÖVP in ihrem Parteiprogramm eine EU-Armee. Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) nahm am Dienstag wegen der zeitgleichen Präsentation des neuen Sicherheitspakets im Ministerrat nicht an dem Treffen in Bratislava teil.

Bis zum EU-Verteidigungsministertreffen im November soll die Außenbeauftragte Mogherini nun alle Vorschläge in ein Dokument verschmelzen, über das die Minister dann abstimmen werden. Die abschließende Entscheidung fällt voraussichtlich beim EU-Gipfel im Dezember. Das Zeitfenster ist knapp, da 2017 in Deutschland, Frankreich und anderen EU-Staaten Wahlen anstehen.

(APA, 27.9.2016)