Bern – Vor drei Jahren entdeckten Archäologen im Berner Seeland im Westen der Schweiz einen Friedhof, dessen Anfänge bis ins Frühmittelalter zurückreichen. Eigentlich hätte unter dem Areal an der Friedhofsmauer im Dorf Schüpfen eine Tiefgarage entstehen sollen, doch dank der Funde wird daraus zumindest vorerst nichts. Mittlerweile konnten die Überreste von insgesamt 342 Menschen aus der Zeit zwischen dem 8. und dem 17. Jahrhundert freigelegt werden – und einer von ihnen, ein Mann, stellt die Forscher vor ein Rätsel: Er wurde etwas entfernt von den übrigen Gräbern bäuchlings beigesetzt.

"Das ist ziemlich ungewöhnlich", meint Christian Weiss, Numismatiker beim Archäologischen Dienst des Kantons Bern. Weitere Funde, die bei der Freilegung des Grabs zum Vorschein kamen, untermauern den Verdacht, dass dieser Mann nicht unter gewöhnlichen Umständen ums Leben kam. Denn die Archäologen entdeckten gleich neben dem Skelett ein Messer und mehrere korrodierte, zusammengebackene Münzen, offenbar die Reste einer Geldbörse. Auch das ist seltsam, denn Grabbeigaben waren zu dieser Zeit längst nicht mehr gebräuchlich.

Der Mann wurde im 17. Jahrhundert mit dem Gesicht nach unten beerdigt. Der Grund dafür gibt Rätsel auf.
Foto: Archäologischer Dienst des Kantons Bern

Seuche oder Mord?

Warum der Mann auf so bemerkenswerte Art bestattet wurde, dazu haben die Archäologen mehreren Ideen. Es sei beispielsweise gut möglich, dass die Beerdigung schnell vonstatten gehen musste und keine Zeit mehr war, die Leiche abzusuchen. Als Gründe dafür kämen eine ansteckende Krankheit, an der der Mann gelitten haben könnte, oder ein Verbrechen in Frage.

Möglicherweise liefern die Münzen entscheidende Hinweise. Die zu einem Block zusammenkorrodierten Geldstücke sind allerdings äußerst zerbrechlich. Selbst Restauratorin Sabine Brechbühl vom Archäologischen Dienst des Kantons Bern, die auf metallische Objekte spezialisiert ist, konnte sie bisher nicht auseinander präparieren. Auch eine erste Röntgenuntersuchung brachte keine verwertbaren Ergebnisse.

In dem Grab fanden die Schweizer Archäologen auch einen zusammengebackenen Münzklumpen. Modernste Röntgentechnik brachte zerstörungsfrei ans Licht, dass es sich dabei um Kleingeld handelte.
Foto: Archäologischer Dienst des Kantons Bern

Daher wandten sich die Wissenschafter an einen Röntgenspezialisten von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa. Mathieu Plamondon erkannte, dass der Block sehr viel Strahlung absorbierte und daher eine besonders starke Röntgenquelle nötig wäre. Glücklicherweise stand dem Materialforscher mit dem µDETECT, einem Computertomographen mit Röntgentechnologie, ein entsprechendes Gerät zur Verfügung. Nur höchstens drei weitere Labore in Europa verfügen über ein ähnlich leistungsfähiges Instrument, das selbst bei Proben von bis zu zehn Zentimetern eine Auflösung im Mikrometerbereich erreicht.

24 Münzen eines reisenden Geschäftsmannes

Bereits die erste Röntgenaufnahme lieferte überraschend gute Bilder. Im Querschnitt waren 24 dünne Münzen zu erkennen – manche einseitig, andere beidseitig geprägt. Auf dem Bild ist sogar zu sehen, dass einige der Münzen aus zwei verschiedenen Metallen bestehen. Oft wurden früher Münzen aus einer Kupfer-Silber-Legierung gefertigt und vor dem Prägen in ein Weinsäurebad eingelegt, damit sich das Kupfer außen auflöst. An der Oberfläche blieb das glänzende Silber zurück. Eine der Münzen im Portemonnaie besteht sogar komplett aus purem Silber.

Dank der tomographischen Aufnahmen ließ sich das Prägejahr der jüngsten Münze (rechts) eruieren. Damit konnten die Historiker den Zeitraum eingrenzen, wann der Mann beigesetzt worden war.
Foto: Empa

Die jüngste mit Jahreszahl versehene Münze aus der Geldbörse stammt aus dem Jahr 1629, also muss der Mann nach diesem Zeitpunkt bestattet worden sein. Auch wie der Mann gelebt hatte, geben die Münzen preis. "Es ist möglich, dass dieser Mann ein reisender Geschäftsmann war", sagt Weiss, "denn in seiner Geldbörse befinden sich Münzen aus den Regionen Fribourg-Bern-Solothurn, Basel-Freiburg im Breisgau und Luzern-Schwyz." Jede dieser Regionen hatte damals ihr eigenes, regional zirkulierendes Geld.

"Sämtliche Münzen entsprechen Kleingeld", sagt Weiss, "da ist nichts drin, was einer heutigen Hunderternote entsprechen würde." Dass jemand die wertvolleren Münzen entwendet und den Rest dem Toten zurückgesteckt hat, hält er für eher unwahrscheinlich. Dies spricht also gegen einen Raubmord. Doch ein Mord aus anderen Gründen, wie etwa Rache, lässt sich weiterhin nicht ausschließen. (red, 27.9.2016)