Richard Mille ist ein Technikfreak. Das sieht man seinen Uhren auch an. Zudem versteht er es, diese zu vermarkten.

Foto: Richard Mille/Thomas Lavelle

Geradezu aufreizend technisch sind die Uhren von Richard Mille. 929.800 Euro (ohne Steuern) kostet die "RM50-02", die in Kooperation mit Airbus Corporate Jets entwickelt wurde. Mit an Bord sind u. a. Doppelzeigerchronograf und Drehmomentindikator in einem Gehäuse aus einer Titan-Aluminium-Legierung (TiAI), deren Eigenschaften zwischen Metall und Keramik liegen sollen und die Airbus für seine Turbinenflügel einsetzt.

Foto: Richard Mille

Die "RM 67-01" bietet ein extraflaches Titangehäuse.

Foto: Richard Mille

Brücken und Platine der "RM 68-01 Tourbillon" wurden vom Streetart-Künstler Cyril Kongo gestaltet.

Foto: Richard Mille

STANDARD: Manche Ihrer Uhren kosten über eine Million Euro. Was rechtfertigt diesen Preis?

Mille: Die Frage hat mir noch kein Journalist gestellt.

STANDARD: Ernsthaft?

Mille: Ja. Das fragen sonst immer nur die Kunden. Jedes Uhrwerk ist ein Unikat. Ich ziehe gerne den Vergleich zur Formel 1: In der Formel 1 wird ständig geforscht, entwickelt und erprobt. Das alles mit einem äußerst geringen Output. Genauso halten wir es auch. Um eine Uhr zu entwickeln, benötigt man manchmal bis zu sieben Jahre. Das alles, um nur ein paar Stücke auf den Markt zu bringen. Die Preise meiner Uhren sind keine Fantasiepreise, sondern stehen im Verhältnis zu den winzigen Stückzahlen und zum enormen Entwicklungsaufwand. Nehmen wir die Schrauben: Für jede einzelne Schraube sind 20 Bearbeitungsschritte notwendig. Jede wird von Hand poliert. Wir haben berechnet, wie viel ein Kilogramm dieser Titanschrauben kostet.

STANDARD: Soll ich raten?

Mille: Gerne.

STANDARD: 100.000 Euro?

Mille: Über 20 Millionen.

STANDARD: Wie kann das sein?

Mille: Weil es ein Albtraum ist, Titan-Grade 5 zu bearbeiten! Es ist ein besonders hartes Material. Wir haben noch immer einen Ausschuss von 35 bis 40 Prozent, trotz der Fortschritte bei der Bearbeitung. Denn wenn nur ein Kratzer irgendwo im Werk passiert, kann man diesen nicht mehr unsichtbar machen – das ganze Ding muss zerlegt werden.

STANDARD: Warum bauen Sie nicht einfachere Uhren?

Mille: Wir könnten natürlich kommerziellere, massentauglichere Uhren herstellen. Aber das werden wir nicht tun. Denn wir lieben die Herausforderung. Nehmen wir zum Beispiel die Saphirglasuhr, deren Gehäuse komplett aus Saphirglas besteht. Ich bin nicht masochistisch, aber selbst heute braucht es noch drei Monate, um ein verdammtes Gehäuse herzustellen.

STANDARD: Warum dauert das so lange?

Mille: Weil die Gehäuseform so kompliziert ist. Das hat damit zu tun, dass es gebogen ist und viele Kurven hat. Nur um das Gehäuse herzustellen, muss man Vater und Mutter töten, so komplex ist es. Das Gravieren treibt einen in den Wahnsinn, weil sich der Radius des Gehäuses ständig ändert.

STANDARD: Wie sind Sie auf diese Gehäuseform gekommen?

Mille: Ich wollte eine ergonomische Form, die sich gut ans Handgelenk anpasst. Es gibt keine überflüssigen Teile in der Uhr: Jedes Rädchen, jede Schraube hat eine exakte Aufgabe. Alles ist genau durchdacht, auch die Materialauswahl geschieht nicht zufällig oder weil ein bestimmter Werkstoff gerade angesagt ist – nein, das Material muss einen bestimmten, vorher definierten Zweck erfüllen. Wir sind immer noch die Einzigen, die eine Titanplatine benutzen, obwohl sich das Material so schwer bearbeiten lässt. Aber es hält so gut wie allen Belastungen Stand und verändert sich nicht.

STANDARD: Wer kauft solche Uhren?

Mille: Unsere Kunden wollen Exklusivität. So einfach ist das. Die wollen nichts, was ein anderer schon an seinem Handgelenk trägt. Sie wollen, dass andere Insider wissen, was sie da Spezielles haben. Es sind Leute mit Vorkenntnissen, die sich bereits lange mit dem Thema beschäftigen.

STANDARD: Extremer Luxus sozusagen?

Mille: Unsere Kunden wollen sich unterscheiden, um beinahe jeden Preis. Das Image von Richard Mille liegt in der Tatsache begründet, dass jede Uhr ein Meisterstück ist. In den Uhren stecken unzählige Funktionen. Jede für sich genommen ist kein Problem, aber zusammen sind sie ein Albtraum. In der Computersimulation haut das super hin, aber in Wirklichkeit ist es mehr als kompliziert, die Komponenten ins Gehäuse zu zwängen, damit sie dann auch funktionieren. Wir müssen hier auf traditionelles Werkzeug zurückgreifen. Ich sage immer: Wir sind mit einem Fuß im 19. und mit dem anderen im 21. Jahrhundert – aber darauf stehe ich. Ich will, dass alles per Hand zusammengebaut wird. Egal, was das kostet, ich schere mich nicht um Kosten.

STANDARD: Das klingt riskant. Mit welchem Plan sind Sie die Sache damals angegangen?

Mille: Ich hatte einen sehr konservativen Businessplan, aber mit allen Zutaten für einen schnellen Konkurs. Meine Freunde bei Audemars Piguet haben sogar Wetten darauf abgeschlossen, wann ich pleitegehen würde. Sie haben mir zwar sehr geholfen, aber es gab Zweifel an meinem Erfolg. Natürlich war ich nicht ganz so dumm. Ich war sehr aggressiv, was die Kreativität anbelangte, und konservativ in Sachen Businessplan.

STANDARD: Hatten Sie selbst niemals Zweifel?

Mille: Ich habe mir damals die Pros und Kontras aufgeschrieben. Ich hatte eine Seite vollgeschrieben mit Dingen, die dagegensprechen, und nur drei Zeilen mit Dingen, die dafürsprechen. Ich bin kein Uhrmacher, ich habe keine Marke aus dem 18. Jahrhundert. Also dachte ich mir: Meine Legitimation kommt vom Schlachtfeld. Es gibt keine Lorbeeren, auf denen ich mich ausruhen kann, also muss ich mich ständig bemühen. Heute sind wir die einzige Marke mit Zeitmessern in dieser Preisklasse und mit diesem Level an Output. Der Durchschnittspreis unserer Uhren liegt bei 180.000 Euro. Und die Nachfrage nimmt zu! Wenn es notwendig ist, kann ich die Produktion sofort stoppen und werde immer noch profitabel sein.

STANDARD: Spüren Sie die momentane Krise?

Mille: Unsere Legitimierung kommt nicht aus irgendeiner Tradition oder Geschichte heraus. Diese ganze historische Chose ist sowieso nur eine Ausrede für die eigene Faulheit. Viele Marken ruhen sich darauf aus. Es hält sie von der Arbeit ab. Wenn die Flut zurückgeht und die Ebbe kommt, sieht man, wer eine Badehose trägt und wer nackt im Wasser stand. Also: Nein, die Krise trifft uns nicht. Wir steigern immer noch unsere Produktion. Trotzdem können wir die Nachfrage nicht befriedigen. Als alle nach China, Russland etc. mussten, sagten wir: Lasst uns vorsichtig sein. Alles Schritt für Schritt. Jetzt starten wir erst einmal in Deutschland. Wir haben gerade in China begonnen. In den USA findet man uns nur an der Westküste.

STANDARD: Das fällt Ihnen leicht, weil Sie nach wie vor unabhängig sind.

Mille: Ich möchte immer Herr im eigenen Haus sein und das Wachstum meiner Marke selbst kontrollieren. Ich kann tun, was immer ich will.

STANDARD: Sie könnten es sich auch einfach machen und die Marke verkaufen.

Mille: Angebote gab's schon genug. Da wurden Summen genannt, die einfach traumhaft waren. Aber wenn man sich dann abgekühlt hat und wieder mit beiden Füßen auf dem Boden steht, denkt man sich: Meine Güte, wir haben so viel Spaß. Die Zahlen stimmen, ich bin sehr zufrieden.

STANDARD: Wie wird's weitergehen?

Mille: Das diskutieren wir oft intern. Wir kommen dann zu dem Schluss, dass wir bisher höchstens zehn Prozent unseres Potenzials nutzen. Da geht noch mehr: Die Marke ist doch erst ein Teenager. Das ist erst der Anfang der Geschichte. Mir fällt noch genug ein, um meine Leute zur Verzweiflung zu bringen.

STANDARD: Plaudern Sie ruhig aus dem Nähkästchen!

Mille: Nehmen wir die Aufzugskrone für die Taschenuhr "RM020" (2010): Ich wollte eine Krone haben, die einen Drehmomentmesser eingebaut hat, der verhindert, dass man das Werk zu stark aufzieht. Aber in einem sehr kleinen Maßstab. "Richard, du weißt, ich liebe dich, aber ich kann das nicht machen", sagte der Kronenhersteller zu mir. Seine Ingenieure meinten: Alles kein Problem, Riccardo, für dich kriegen wir das hin! Der Kronenhersteller, ein Freund von mir, sagt: "Okay, wie viele brauchst du?" "20", sag' ich. "Ich soll die ganze Entwicklungsarbeit auf mich nehmen für nur 20 Stück? Bist du verrückt!?" "Ja, was soll die Aufregung?", frag' ich. Am Ende war er glücklich, dass er diese Krone entwickelt hat. Natürlich war der Preis der Krone astronomisch, die kostet so viel wie eine Uhr. Wir hätten den Nobelpreis dafür verdient! (Markus Böhm, Rondo, 9.10.2016)