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Für Angelina Nguedjeu ist klar, dass die Schließung von Fluchtrouten nur neue Routen öffnen wird.

Foto: REUTERS/Ismail Zitouny

Farah Abdis erster Gedanke, als sie europäischen Boden unter den Füßen spürte, war: "Ich bin frei. Es ist endlich vorbei." Es war das Jahr 2012, als die damals 16-Jährige nach neunmonatiger Schlepperfahrt durch die Wüste Afrikas von Nairobi aus in Malta ankam. Damals war die gebürtige Somalierin laut Papieren noch ein Mann. Da Homo- und Transsexualität in Kenia strafrechtlich verfolgt werden, ließ sich Abdis von Schleppern Richtung Europa bringen. Über Uganda, den Südsudan, den Sudan und durch die Wüste nach Libyen führten die ersten zwei Monate der Reise.

In Libyen gab es damals noch keine Regierung. Die Milizen hatten die Macht, sperrten illegale Einwanderer ein und verlangten Geld, damit sie wieder freigingen: "Ich wurde geschlagen wie ein Tier, habe sexuelle Misshandlungen mitangesehen und musste ohne Lohn auf Baustellen schuften", erinnert sich Abdis. Fünfmal versuchte sie mit dem Boot das Mittelmeer zu überqueren, beim sechsten Mal schaffte sie es bis nach Malta – wo sie wieder eingesperrt wurde.

Abdis: Über Rechte aufklären

Erst im Jänner dieses Jahres schaffte das EU-Land die automatische Inhaftierung von Bootsflüchtlingen ab. Abdis' Vorteil: Ihr Englisch war perfekt, sie konnte mit den Behördenvertretern kommunizieren, und eine achtmonatige Intensivtherapie klärte sie zugleich auch über ihre Rechte auf. "Ich wusste davor nicht, dass meine Transsexualität ein Asylgrund ist", erinnert sie sich. "Ich konnte es nicht glauben, dass sie zum ersten Mal etwas Gutes war."

Abdis beschloss, noch während sie in maltesischer Haft war, für Menschenrechte aufzustehen. Für ihr Engagement wurde sie unter anderem mit dem Bremer Friedenspreis 2015 und von Queen Elizabeth II. geehrt. Vor allem müssten Asylsuchende über ihre Rechte aufgeklärt werden. "Bei einer Veranstaltung in Amsterdam hat mir heuer ein junger homosexueller Flüchtling erzählt, dass er vor Behördenvertretern sehr intime Details über sein Sexualleben offenlegen musste", sagt Abdis. "Das geht so nicht. Die Menschen müssen wissen, dass das kein Beamter mit ihnen machen darf." Die Menschenrechte der Flüchtlinge müssten respektiert werden.

Kritik an EU-Verhandlungen mit Eritrea und Sudan

Doch in der europäischen Flüchtlingsdebatte gehe es schon lange nicht mehr um Menschen, sondern schlicht um die Reduzierung der Ankunftszahl, sagt Angelina Nguedjeu. Die Politikwissenschafterin aus Kamerun erforscht seit 2013 die Situation von Migranten in Ostafrika und arbeitet im Moment in Uganda. Nguedjeu kritisiert vor allem die Pläne einiger Staats- und Regierungschefs – darunter Bundeskanzler Christian Kern und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel –, wonach die EU mit Ländern wie Ägypten Abkommen nach dem Vorbild der Türkei schließen soll, um die Migration zu stoppen. "Verzweifelte Menschen werden immer verzweifelte Wege einschlagen", sagt Nguedjeu. Würde sich die Route von Ägypten übers Mittelmeer schließen, würden die Schlepperboote in anderen Häfen ablegen.

Die 1,8 Milliarden Euro, die die EU Ende 2015 einigen afrikanischen Staaten für die Eindämmung der Migration zugesagt hat, müssen laut der Politikwissenschafterin kontrolliert werden. Verhandlungen über Rückführungsabkommen zwischen der EU und Diktaturen wie Eritrea oder dem Sudan, deren Diktatoren am Internationalen Gerichtshof in Den Haag der Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt sind, dürften nicht stattfinden. "Sieben von zehn Flüchtlingen aus Ostafrika fliehen nicht, weil sie Hunger haben, sondern weil sie frei sein wollen", sagt Nguedjeu. "Man muss die Menschenrechte in den Ländern wahren, sonst werden immer mehr Menschen fliehen."

Politikwissenschafterin fordert Sanktionen

Durch Sanktionen könnte die internationale Staatengemeinschaft genug wirtschaftlichen Druck auf die Diktaturen aufbauen. Eritrea etwa sei vor den Verhandlungen mit der EU bereit gewesen, auf den Militärdienst zu verzichten – einer der Hauptfluchtfaktoren in dem Land, sagt Nguedjeu. Doch jetzt habe die Regierung ein Druckmittel gegen die Staatengemeinschaft und würde sich nicht mehr beugen. Die EU-Staaten müssten sich laut Nguedjeu an einen Vorschlag des Valletta-Gipfels vom November des Vorjahrs erinnern und die Transitlager für Flüchtlinge in Ostafrika ausbauen sowie die Lebensumstände der Menschen dort verbessern. "Indem die Leute dort zur Ruhe kommen können, weil sie unter menschenwürdigen Umständen leben, bekommen sie auch Zeit, sich zu überlegen, ob sie die gefährliche Flucht nach Europa weiter auf sich nehmen wollen", sagt sie.

Für die Politikwissenschafterin begannen die Probleme mit den Visabeschränkungen für Afrikaner bei der Einreise in die EU. "Als ich vor 28 Jahren zum Studieren nach Deutschland wollte, war das kein Problem", erzählt Nguedjeu. "Damals war für meine Generation auch klar, dass wir wieder zurückwollen, um unseren Ländern, unserem Kontinent weiterzuhelfen." Nun seien die Hürden für Migranten so groß, dass sie nicht mehr ausreisen würden. "Für mich war es kein Problem, wieder nach Kamerun und schließlich zurück nach Deutschland zu kommen. Wäre es damals schon solch ein Aufwand gewesen, wäre ich wahrscheinlich auch in der EU geblieben." (Bianca Blei, 29.9.2016)