Vor einem Jahr haben die EU-Innenminister entschieden, dass alle Mitgliedsstaaten verpflichtet sind, eine bestimmte Zahl an Asylwerbern aus Italien und Griechenland aufzunehmen. Den Verteilungsschlüssel dafür, die "Quoten", lieferte die EU-Kommission: Jedes Land sollte eine seiner Größe, Wirtschaftskraft und bisherigen Leistung für Flüchtlinge angemessene Zahl an Menschen aufnehmen. Die Entscheidung fiel mit Mehrheit, gegen heftigen Protest einiger mittel- und osteuropäischer Staaten, voran Ungarn, dessen rechtsnationaler Premier Viktor Orbán "vitales Interesse" seines Landes missachtet sah. Zwei Regierungen klagten beim EU-Höchstgericht in Luxemburg.

120.000 Flüchtlinge sollten nach der EU-Vorgabe im ganzen Unionsgebiet eine neue Heimat finden, zusätzlich zu jenen 62.000 Menschen, die man bei einem "Pilotprojekt" im Mai davor auf freiwilliger Basis durch "Umsiedelung" aufteilen wollte.

Ein Jahr danach hat die Kommission ein Resümee zur "Umsiedelung" gezogen. Das Ergebnis: Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass das Programm zur fairen und verpflichtenden Aufteilung der Asylwerber im ersten Anlauf gescheitert ist. Einigermaßen funktioniert hat bisher nur die Abwehr, das Stoppen der Migranten mit Grenzsperren am Balkan und mit dem EU-Türkei-Pakt.

Die Zahlen, die der zuständige Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos präsentierte, sind eine Blamage. Seit Mai 2015 wurden unter allen Mitgliedsstaaten nicht einmal 6.000 Flüchtlinge verteilt. Ginge es in diesem Tempo weiter, wäre das Vorhaben in 30 Jahren nicht abgeschlossen. Schlimmer noch: In Griechenland steigt die Zahl der Migranten. Das Land beziehungsweise die Regierung von Premier Alexis Tsipras zeigt trotz EU-Millionenhilfe wenig Bereitschaft, die Asylwerber so zu versorgen, wie sie müsste – ordentlich. In Italien droht die nächste Krise auf der zentralen Mittelmeerroute.

Ungarns Premier Orbán lässt am Sonntag die Bevölkerung in einem Referendum darüber abstimmen, ob sie die Verteilungsquoten akzeptiert. Das Ergebnis kann man sich ausmalen. Die drei weiteren Visegrád-Staaten folgen ihm. Aber auch die anderen, die westlichen EU-Länder sind, was solidarische Aufnahme von Flüchtlingen betrifft, untereinander total uneinig, wie der EU27-Gipfel in Bratislava zeigte. Die deutsche Kanzlerin hat eingestanden, dass seit Jahren Fehler und Versäumnisse gemacht wurden – auch und vor allem von Deutschland.

Nur Avramopoulos, der mehr als überfordert erscheint, zeigt sich ungerührt: Er feiert "erste Erfolge", wischt Kritik vom Tisch, beharrt darauf, dass die EU-Staaten umzusetzen hätten, was beschlossen wurde. Punkt.

So wird es aber nicht gehen: Die Fortsetzung seiner Migrationspolitik mit der Brechstange würde die Lage eher verschlimmern als verbessern. Die Kommission müsste vermitteln. Längst ist im Hintergrund zwischen Regierungen die Rede von einer "flexiblen Solidarität" zwischen den Mitgliedsstaaten im Umgang mit Asylwerbern. Sie haben Angst vor einem Crash der EU. Statt einer Lastenverteilung nach mathematischen Formeln müsse man durch Zugeständnisse an Einzelne neue Wege finden, Umwege also.

Selbst Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der bisher immer die "reine Lehre" der EU-Verträge vertrat, hat inzwischen eingestanden, dass Solidarität "aus dem Herzen kommen muss". Man könne sie nicht erzwingen. Damit hat er vollkommen recht. (Thomas Mayer, 29.9.2016)