Touristen, die die berühmte Wachablöse an der indisch-pakistanischen Grenze sehen wollten, wurden am Donnerstag zurückgeschickt.

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Neu-Delhi/Islamabad – Gefährliche Zuspitzung im Kaschmir-Konflikt: Nach einer indischen Militäroperation auf pakistanischem Gebiet hat die Regierung in Islamabad ihrem Erzfeind eine "offene Aggression" vorgeworfen. Mit den Angriffen in der Nacht auf Donnerstag reagierte Indien auf einen tödlichen Überfall auf ein indisches Armeelager. Die UNO mahnte beide Seiten zur Zurückhaltung.

Der pakistanische Regierungschef Nawaz Sharif verurteilte den indischen Militäreinsatz jenseits der Demarkationslinie in Kaschmir als "offene Aggression". Die pakistanischen Streitkräfte wiesen aber die indische Darstellung zurück, es habe sich um "chirurgische" Angriffe auf pakistanischem Gebiet gehandelt – vielmehr sei es lediglich "grenzüberschreitender Beschuss" gewesen. Die pakistanischen Truppen hätten das Feuer erwidert.

"Chirurgische Angriffe"

Das indische Militär hatte in der Nacht auf Donnerstag mehrere Stellungen jenseits der Demarkationslinie angegriffen, die das Hochgebirgstal durchteilt. Ein indischer General sprach von "chirurgischen" Angriffen. Grund für den Einsatz sei gewesen, dass sich "terroristische Teams" in der Nähe von "Abschusseinrichtungen" in dem umstrittenen Gebiet positioniert hätten, sagte Generalleutnant Ranbir Singh.

Der General warf den "Terroristen" und ihren Unterstützer vor, für "schwere" Angriffe auf indischem Gebiet verantwortlich zu sein. Mitte September hatten Rebellen im indischen Teil Kaschmirs 18 Soldaten getötet. Indien machte daraufhin Pakistan mitverantwortlich für den Angriff – der schwerste in der Region seit mehr als einem Jahrzehnt. Die Beziehungen der beiden Rivalen haben seitdem einen neuen Tiefpunkt erreicht.

Abschusseinrichtungen angegriffen

Aus indischen Armeekreisen verlautete, insgesamt seien sieben "Abschusseinrichtungen" zwei bis drei Kilometer jenseits der Demarkationslinie angegriffen worden. Verluste auf indischer Seite habe es keine gegeben. Die Gegenseite habe "zweistellige" Verluste erlitten, sagte ein indischer Regierungsvertreter. Die pakistanische Armee sprach dagegen von zwei Toten und neun Verletzten.

Islamabad zitierte aus Protest den indischen Hochkommissar ins Außenministerium. Die Vereinten Nationen mahnten beide Seiten zur Zurückhaltung und riefen sie auf, "ihre Bemühungen fortzusetzen, um ihre Differenzen friedlich und durch Dialog beizulegen". Ein UN-Sprecher sagte, die UNO verfolge die Zunahme der Spannungen mit "großer Sorge". UNO-Militärbeobachter in der Region bemühten sich um weitere Informationen über den Vorfall.

Seit der Tötung eines populären Separatistenführers durch indische Sicherheitskräfte im Juli gibt es in dem Hochgebirgstal fast täglich Zusammenstöße. Dabei wurden mehr als 80 Menschen getötet, darunter zahlreiche Demonstranten. Trotz der Verhängung einer Ausgangssperre gibt es weiterhin regelmäßig Proteste.

Die mehrheitlich von Muslimen bewohnte Bergregion Kaschmir ist seit einem Krieg 1947 zwischen Indien und Pakistan geteilt, wird aber bis heute von beiden Staaten in Gänze beansprucht. Seit 1989 kämpfen mehrere Rebellengruppen teils für die Unabhängigkeit Kaschmirs, teils für den Anschluss an Pakistan. Die indische Armee hat hunderttausende Soldaten in der Himalaya-Region stationiert, was zu Unmut bei der Bevölkerung führt. (APA, AFP, 29.9.2016)