Wien – Claudia Zöllner gehört definitiv zu den sanftmütigeren Richterinnen am Wiener Straflandesgericht. Daher ist es bemerkenswert zu erleben, wenn sie einem Angeklagten lautstark "Ich schrei', wann ich will, in meinem Saal!" bescheidet. Bei Herbert A. ist diese Reaktion aber völlig nachvollziehbar – schließlich hat der mit der Schreierei angefangen.

Wie überhaupt das gesamte Verhalten des 58-Jährigen, vorsichtig ausgedrückt, taktisch unklug ist. Er ist wegen gefährlicher Drohung hier, in seinem Fall könnte das aber mehrere Monate unbedingte Haft bedeuten. Denn das Vorleben des Pensionisten ist nicht gänzlich ungetrübt – er hat schon 17 Vorstrafen gesammelt, zwölf davon sind einschlägig.

Es geht um einen Vorfall in einem Park in Wien-Landstraße. Am 3. August soll der ohne Verteidiger erschienene A. dort Zerko B. mit einem Taschenmesser bedroht haben. Ein Vorwurf, den er empört leugnet. "Ich habe überhaupt nix gemacht! Ich finde es eine Frechheit, dass ich hier bin!"

Vier bis sechs Bier pro Tag

Die Richterin versucht es zunächst noch mit Geduld und fordert ihn ruhig auf, seine Version zu erzählen. "Ich bin mit dem Johnny (der Josef heißt, Anm.) im Park auf der Bank gesessen." Man konsumierte Alkohol. "Früher habe ich am Tag eine Flasche Whisky getrunken. Jetzt sind es nur mehr vier bis sechs Bier." – "Aber betrunken waren Sie nicht?" – "Nein, ich kann 20 Liter saufen!"

Neben dem Bier trank man auch noch einen "Leibwächter", einen Likör in einer kleinen Flasche. "Der Johnny hat gesagt, wenn ich den Mistkübel treff', zahlt er mir ein Bier", sagt der Angeklagte. Der Versuch scheiterte, das Fläschchen landete nahe bei Zerko B., der in der Nähe des Abfalleimers stand.

"Dann sind die hergekommen, haben mich angespuckt, beschimpft, und die Frau von dem hat mich gestoßen!", regt sich A. laustark auf. Sein Taschenmesser, mit dem er sich zuvor die Fingernägel geputzt hatte, habe da aber schon der Johnny eingesteckt gehabt. "Bei diesem Würschtl brauch ich doch kein Messer!", stellt A. fest.

Tochter seines ersten Richters

Nachdem er auf der Anklagebank Platz genommen hat, stellt er im Gespräch mit Zöllner einen biografischen Zufall fest. "Haben Sie einen Vater, der Richter war?", will er wissen. "Ja", lautet die Antwort. "Des woar mei Erster", erinnert A. sich.

Die Vernehmung seines Entlastungszeugen Johnny gestaltet sich schwierig. Wie sich herausstellt, ist er ein Schlaganfallpatient, der kaum zusammenhängende Sätze von sich geben kann und eigentlich nur mit Ja oder Nein antwortet. Umso erstaunlicher, dass die Polizei mit ihm ein mehrseitiges Protokoll in einwandfreiem Deutsch aufnehmen konnte.

A. redet während der Vernehmung immer wieder dazwischen, was die Richterin zusehends nervt, ehe sie ihn abmahnt. Die Vernehmung des Zeugen bricht sie schließlich ab, nachdem der Staatsanwalt die Einholung eines Gutachtens über die Vernehmungsfähigkeit angeregt hat.

Angeklagter verlässt den Saal

Das angebliche Opfer und seine Familie will der Angeklagte nicht hören. "I geh ane rauchen!", erklärt er, als er den Saal verlässt. Auch bei B.s Vernehmung erlebt Zöllner eine Überraschung. Der wurde bei der Polizei ohne Dolmetscher vernommen, kann aber nur rudimentär Deutsch.

Was er später, als eine Übersetzerin da ist, schildern kann, ist, dass er fast von der Flasche getroffen worden sei. Er habe zu A. daraufhin "Was soll das?" gesagt. Die Reaktion sei ein herzhaftes "Geht di an Scheißdreck an" gewesen. Die Nachfrage "Machst du das daheim auch?" sei wiederum mit der Aufforderung, exkrementieren zu gehen, gekontert worden.

Er bleibt aber ebenso wie seine Gattin bei der Darstellung, A. habe das aufgeklappte Messer in der Hand gehabt. Die Eheleute schildern aber plötzlich erstmals, dass es auch eine Stichbewegung gegeben habe.

Keine Stichbewegung beobachtet

Zu Zöllners Entzücken kommt schließlich mit Ilije S. ein Zeuge, der halbwegs unbeteiligt ist und mit dem sie sich problemlos verständigen kann. Er sagt, nach dem Flaschenwurf habe sich B. auf A. zubewegt, es sei zu einem derben Wortwechsel gekommen. Ein Messer habe er eindeutig gesehen, allerdings keine Stichbewegung. "Ich DANKE Ihnen für Ihre Aussage!", lobt die Richterin den Zeugen.

Der Angeklagte bequemt sich dann doch wieder in den Saal. "Ich habe den Mayer Rudl (Rudolf., Anm.) und den Ainedter im Café getroffen", demonstriert er seinen vertrauten Umgang mit Strafverteidigern.

Zöllner versucht ihm zu erklären, dass sie nun entscheiden muss, ob sie ein Gutachten zu Johnnys Vernehmungsfähigkeit einholen will. Der Angeklagte entrüstet sich, wird immer lauter. "Bitte, Sie machen ein ganz schlechtes Bild!", stellt Zöllner fest. "Ich glaube, ich frage meinen Vater, ob Sie bei ihm auch so gewesen sind." – "Der Respekt fehlt mir auf einmal", gibt A. doch zu.

Nur um gleich darauf wieder aufzubrausen und die Richterin anzuschreien – was deren eingangs geschilderte Reaktion auslöst. Zöllner vertagt schließlich auf November, um die Expertise zur Vernehmungsfähigkeit einzuholen. (Michael Möseneder, 19.10.2016)