Der Gerichtsakt aus dem Prozess gegen den Amoklenker auf dem Richtertisch im Grazer Landesgericht.

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Der zu Ende gegangene Amoklenker-Prozess in Graz war in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Im großen Schwurgerichtssaal des Landesgerichts gab es viele emotionale Momente. Etwa als Zeugen und Angehörige der drei Todesopfer und 50 Verletzten über die Geschehnisse am 20. Juni 2015 in der Grazer Innenstadt berichteten – Geschehnisse, die die ganze Stadt traumatisiert haben. Der Prozess bot auch die Möglichkeit, mit den schrecklichen Ereignissen abschließen zu können, um das Trauma zu bewältigen.

Mit dem Prozess traten aber auch offene Probleme der heimischen Gerichtsbarkeit zu Tage; konkret die der Schwurgerichte sowie die Rolle der Gerichtsgutachter.

Bei der Bewertung der Zurechnungsfähigkeit des Amoklenkers wurden die acht Geschworenen letztendlich völlig allein gelassen. Die bestellten Sachverständigen sind zu keinem gemeinsamen Ergebnis gekommen. Für die Laienrichter, die wohl, wenn überhaupt, auch nur laienhafte Kenntnis von Psychiatrie und Psychologie haben, war das wenig hilfreich. Wenn schon Profis sich so schwer tun, wie sollen dann ausgerechnet Amateure eine Entscheidgung treffen können? Eine Entscheidung, bei der es immerhin um Gefängnis oder Anstalt, um Strafe oder Behandlung (oder auch um beides) geht.

Nur mehr Idealisten und Arbeitslose

Das Abwälzen einer medizinischen Diagnose auf Laien stärkt weder das Vertrauen in die Gerichtsbarkeit noch dient es als Anreiz, sich selbst der Verantwortung als Geschworener zu stellen. Seit längerem gibt es Kritik an der bestehenden Fassung des Artikels 91 im Verfassungsgesetz, der österreichische Staatsbürger im Alter zwischen 25 und 65 zur Tätigkeit als Laienrichter verpflichtet. Hinter vorgehaltener Hand heißt es in Justizkreisen, dass sich nur mehr Idealisten und Arbeitslose das Ehrenamt als Geschworene antun – obwohl es nicht einfach ist, sich zu drücken.

Geschworene sollen quasi mit dem Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung die juristische Routine ergänzen. Die Laiengerichtsbarkeit ist ein demokratisches Korrektiv und Mitsprachrecht. Dabei erhalten die Geschworenen aber fachliche Hilfe, werden von den Berufsrichtern genau über Rechte und Pflichten aufgeklärt und darauf hingewiesen, sich nicht von äußeren Einflüssen wie präjudizierenden Medienberichten ablenken oder beeinflussen zu lassen.

Während es in juristischer Hinsicht also klare Spielregeln für Laienrichter gibt, werden sie, wie jetzt in Graz, bei der psychiatrischen Bewertung eines Delinquenten (gefährlich oder nicht?) mit den unterschiedlichen Ausführungen der Gutachter allein gelassen. Eine unangenehme Situation, in die wohl niemand geraten möchte.

Schaffung eines Obergutachters

Dem Grazer Gericht kann kein Vorwurf gemacht werden, denn es hat mit der Bestellung von mehreren Gutachten die Möglichkeiten ohnehin ausgereizt. Ob die Schaffung eines Obergutachters eine Lösung sein könnte, müssen Fachleute beurteilen. Aber zumindest die Laienrichter wären dann von der komplexen Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit entbunden.

Die Geschworenengerichtsbarkeit steht seit Jahren auf der Novellierungsliste im Justizministerium. Eine notwendige Änderung wäre auch die bisher immer aus finanziellen Gründen abgelehnte psychologische Unterstützung für Laienrichter selbst. Gerade im Grazer Prozess haben die Geschworenen schreckliche Eindrücke erhalten, bei deren Verarbeitung man ihnen Hilfe anbieten sollte. (Michael Simoner, 29.9.2016)