Beim Festakt zum Geburtstag der österreichischen Verfassung erwähnte Gerhart Holzinger, Präsident des Verfassungsgerichtshofs, Johannes Schnizer mit keinem Wort. Dessen Platz blieb leer.

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Frage: Warum steht der Verfassungsgerichtshof aktuell im Fokus?

Antwort: Inhaltliche Kritik erfuhr der VfGH schon für das Erkenntnis, mit dem der zweite Wahlgang der Bundespräsidentenwahl aufgehoben wurde. Am Dienstag rückte Johannes Schnizer, eines der 14 ständigen Mitglieder, dann offenbar im Alleingang aus, um die Entscheidung zu verteidigen – und unterstellte gleichzeitig den Freiheitlichen, von Rechtsbrüchen schon früher gewusst, aus taktischem Kalkül aber geschwiegen zu haben. Das brachte ihm Kritik ein – vor allem von der FPÖ, die seine SPÖ-Vergangenheit ins Spiel brachte.

Frage: Wieso äußerte sich Präsident Gerhart Holzinger nicht zur Aufhebung der Stichwahl?

Antwort: Laut Holzinger hatte sich das Richterkollegium darauf geeinigt, dass es erst nach der Abwicklung der Wahlwiederholung eine Stellungnahme des VfGH zur Causa geben würde – und dass sie vom Präsidenten selbst kommen solle. Der Präsident wollte sein Haus nicht in eine weitere politische Debatte hineinziehen.

Frage: Bei vierzehn Richtern ist es doch klar, dass sie nicht immer einer Meinung sind. Dürfen sie öffentlich Stellung beziehen?

Antwort: Beim Festakt zum Geburtstag der österreichischen Verfassung umschiffte Holzinger die Causa Schnizer. Er betonte, dass er und seine Verfassungshüter über Auslegungen streiten, die zwar politisch seien, aber nicht als politische Konflikte verstanden werden dürften, da sie diese aus rechtlichen Gesichtspunkten bewerteten. Bremsen konnte Holzinger Schnizer kaum: Es gibt kein Weisungsrecht des Präsidenten gegenüber seinen Richtern. Das Vorpreschen Schnizers hat aber eine alte Debatte rund um die Darstellung abweichender Meinungen bei der Entscheidung entfacht.

Frage: Warum werden abweichende Meinungen nicht veröffentlicht?

Antwort: Darüber ist sich die Koalition uneins. Verfassungsminister Thomas Drozda (SPÖ) forderte beim Festtag erneut, das Abstimmungsverhalten der Mitglieder transparent zu machen ("Dissenting Opinion"). Damit wären die Debatten nicht nur juristischen Fachkreisen vorbehalten. "Ich bin überzeugt davon, dass die Einführung einer Dissenting Opinion eine Diskussion über Auffassungen einzelner Mitglieder auf einer sachlicheren Basis verlaufen lassen würde", sagte Drozda. Bei anderen Gerichtshöfen – etwa dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) – ist das üblich. In Österreich hat sich diese Tradition nie entwickelt. Katharina Pabel, Verfassungsrechtlerin an der Kepler-Uni Linz, hält das für positiv: "Ich glaube, dass die Autorität des Gerichtshofs dadurch gestärkt wird, wenn man mit einer Stimme auftritt." Ähnlich sieht das auch die ÖVP. Alles, was nach einem Erkenntnis des Höchstgerichts die öffentliche Diskussion befeuern könnte, sei zu vermeiden, sagt ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka.

Frage: Der Großteil der Verfassungsrichter wird von der Bundesregierung bestellt. Wie unabhängig sind sie dann überhaupt?

Antwort: Die Richter werden im Endeffekt von den Parteien bestimmt – und sind in den meisten Fällen auch ideologisch zuordenbar. Pabel hält den VfGH aber jedenfalls für unabhängig. Es sei utopisch zu glauben, dass Verfassungsrichter "überhaupt keine Verbindung zu einer politischen Richtung haben". Was für die Unabhängigkeit spricht: Die Richter sind bis zu ihrem 70. Lebensjahr fix bestellt und können nicht einfach entlassen werden.

Frage: Wäre ein anderer Bestellvorgang denkbar?

Antwort: Die Verfassungssprecher der Oppositionsparteien plädierten zuletzt etwa dafür, die Mehrheit der Richter vom Parlament bestimmen zu lassen, statt wie jetzt von der Regierung. Irgendjemand muss aber immer einen Vorschlag machen, und der Einfluss der Politik kann nie ganz beseitigt werden. (Marie-Theres Egyed, Sebastian Fellner, 30.9.2016)