Foto: Christian Brachwitz

Linz – Der verlässlichste Ausgang aus dem eigenen Unglück kann der nächste Mensch sein. Wenn man ihn lässt. Solch gut Ding will manchmal allerdings Weile haben. 1828 ist Ferdinand Raimunds Der Alpenkönig und der Menschenfeind uraufgeführt worden. Der Zauber, der war dem pointenreichen Alt-Wiener Volkstheater anno dazumal auch ein Mittel zum Zweck, der Psychologie auf die Sprünge zu helfen. Mittlerweile kennen wir Sigmund Freud. 1899 ist dessen Traumdeutung erschienen. Das Feenreich? – Es gehe uns aufgeklärten Menschen nunmehr im Schlafe auf!

In seinem Bett an der Rückseite eines sich in die Bühnentiefe klaustrophobisch verjüngenden hölzernen Kastens (Bühne und Ausstattung: Britta Lammers) liegt er also, der Ungustl. Und träumt schlecht. Vom Schnürboden nieder steigt der Alpenkönig zum Schlafenden herein auf die Bühne der Linzer Kammerspiele, läuft die Wand senkrecht hinab. Ein szenischer Effekt, überraschend, wie er in den kommenden zweieinviertel Stunden vergleichbar leider nicht mehr vorkommen wird.

Die Welt, ein einziger Angriff

Christian Dolezal ist als Gutsbesitzer von Rappelkopf ein paranoid und selbstmitleidig, vor allem aber Komödiant. Alle Welt tut dem Armen unrecht und will ihm ans Leben. Jedes Messer zum Zichorienausstechen ein Anschlag! Das Tierreich dient ihm als unerschöpfliches Schimpfwortreservoir für seine allzu gutmütig ihn ertragende Frau (Katharina Hofmann): oh Viper, oh Natter! Ohne Dienerschaft mag sie ihn aber nicht hinnehmen müssen: Gunda Schanderer macht als Kammermädchen angemessene Miene zum flotten Mundwerk, Stefan Matousch ist als Bedienter Habakuk ein falscher Galan. Ihnen wirft der Herr die Lohnsäckel vor die Füße.

Die Tochter (rein und lieblich: Anna Rieser) und deren Auserwählter (sehr anschmiegsam an den Schwiegervater wider Willen: Clemens Berndorff) komplettieren das labile häusliche Gefüge. Auf und zu gefaltet sind die Wände der Kulisse – mehr Alpinsauna denn Bauernstube –, diesem neben Schlaf- und Gartenzimmer auch als Wald ein spartanisch-schöner Schauplatz. Letzterer bietet denn auch die vermeintlich einzige Zuflucht für den Soziopathen, denn die Natur, die tut einem nichts. Bis er dort dem Alpenkönig gegenübersteht, der ihm ein Angebot unterbreitet: Erkenne dich selbst.

Schräge Untertöne

Das Ensemble spielt mit Lust. Aus dem Orchestergraben herauf versorgt dieweil eine vierköpfige Band die Szenen musikalisch. Nebojša Krulanović, Leiter der Schauspielmusik am Linzer Landestheater, hat unter anderem für Saxofon, Akkordeon und Klavier komponiert: herrlich beschwingt und mit schrägen Untertönen.

Solche gehen der Inszenierung von Regisseur Andreas von Studnitz ansonsten weitestgehend ab. Vasilij Sotke ist als Alpenkönig nicht nur am besten bei Stimme, sondern, nachdem er mit dem "echten" den Platz gewechselt hat, als "falscher" Rappelkopf auch zwiespältiger in der Charakterzeichnung. Tiefer will von Studnitz nicht schürfen. Dabei hätte das den Figuren heutzutage gut angestanden, gar naiv-treuherzig kommt so die Familie daher. Der Abend verlässt sich aber auf Pointen. (Michael Wurmitzer, 2.10.2016)