Zwar könne man das Ergebnis des Referendums in jede Richtung interpretieren, sagt Sebastian Kurz, man solle dies aber nicht falsch tun.

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Berlin/Wien/Budapest – Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hat nach dem Scheitern des ungarischen Flüchtlingsreferendums wegen einer zu geringen Wählerbeteiligung vor einer "falschen" Interpretation gewarnt. Bei dem Referendum hätten nämlich mehr Ungarn gegen die EU-Flüchtlingsquoten gestimmt als im Jahr 2003 für einen EU-Beitritt ihres Landes, sagte Kurz am Sonntagabend in der ARD-Sendung "Anne Will".

Kurz zeigte sich belustigt darüber, dass nun "ganz Europa" darüber diskutiere, wie viele Menschen sich an dem Referendum beteiligt hätten, statt der Frage nachzugehen, "wie viel Prozent eigentlich für was gestimmt haben". Er wies auch darauf hin, dass sich an der letzten Wahl zum Europaparlament nur 29 Prozent der ungarischen Wahlberechtigten beteiligt hätten.

"Das ist die falsche Interpretation"

Zwar könne man das Referendumsergebnis "in jegliche Richtung interpretieren", kommentierte Kurz bei "Anne Will" am Sonntag. Aber: "Man sollte nicht den Fehler machen, es so zu interpretieren, dass man sagt, die Ungarn wollen mehr Migranten aufnehmen. Das, glaube ich, wäre eine etwas falsche Interpretation."

Vielmehr gebe es in Europa viele Staaten, die ähnlich dächten wie Ungarn und "nicht glücklich sind mit der Politik, die da gemacht wird". In diesen Staaten herrsche das Gefühl, dass "einige wenige mitteleuropäische Staaten, vor allem Deutschland", den anderen eine Politik aufzwingen, die sie nicht wollen. Eine solche Politik halte er für falsch, hatte er auch Stunden zuvor schon in einem Interview mit der "Welt" gesagt.

Kern: Nettoempfänger sollen Solidarität zeigen

Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) teilte Montagfrüh im Gespräch mit Journalisten die Analyse des Außenministers, ist aber dennoch anderer Meinung: Es sei richtig, dass eine Qutotenregelung zur Verteilung der Flüchtlinge derzeit nicht durchsetzbar sei. Daher müsse man sich nun weiter auf den Grenzschutz, Hilfe in Krisengebieten und Abkommen mit nordafrikanischen Staaten konzentrieren.

Dennoch könnten weder die EU noch im Besonderen Österreich im Grundsatz auf eine Quotenreglung verzichten. Es könne nicht sein, dass Länder wie Polen, Nettoempfänger von EU-Geldern, sich von der Flüchtlingsfrage nicht belästigen lassen wollen. "Solidarität kann keine Einbahnstraße sein", so der Kanzler.

Kern sieht keine Schwächung Orbáns

Österreich als Nettozahler könne nicht auf eine gemeinsame europäische Lösung verzichten. Kern: "Wir müssen dafür sorgen, dass es zu Quoten und einer gerechten Verteilung kommt." Die Visegrád-Staaten würden in absehbarer Zeit wieder bereit sein, darüber zu diskutieren, glaubt Kern. Dass der Ausgang des Referendums in Ungarn Premier Virkot Orbán schwächen könnte, kann er sich nicht vorstellen, "so gut habe ich ihn bereits kennengelernt". Kern: "An der Spielaufstellung wird sich nichts ändern."

Zuvor war Orbán am Sonntag mit seinem Plan gescheitert, sich Rückendeckung für sein Nein zur EU-weit verordneten Aufnahme von Flüchtlingen zu holen. Zwar stimmten 98,4 Prozent im Sinne Orbáns, wegen eines Boykotts der Opposition erreichte die Beteiligung aber nur 40,4 Prozent. 50 Prozent hätten sich beteiligen müssen, damit das Referendum gültig gewesen wäre.

Vilimsky: "Votum gegen Zwangsverteilung"

Ähnlich wie Kurz argumentierte der FPÖ-Europaabgeordnete Harald Vilimsky. "Das Referendum für den EU-Beitritt Ungarns im Jahr 2003 kam mit 45,6 Prozent auf eine fast gleich hohe Beteiligung – und niemand wäre bis heute auf die Idee gekommen, die EU-Mitgliedschaft Ungarns in Zweifel zu ziehen", schrieb Vilimsky am Montag in einer Aussendung. "Auch wenn das Referendum formal nicht gültig ist, so haben die Ungarn doch beeindruckend klar gegen die Zwangsverteilungspolitik von Zuwanderern in der EU votiert."

Orbáns Regierung hatte das nötige Quorum von 50 Prozent selbst im Jahr 2012 eingeführt, um die Erfolgsaussichten oppositioneller Volksbegehren zu senken. Zuvor galt eine Vorlage als angenommen, wenn die jeweilige Mehrheit 25 Prozent des gesamten Wahlvolks repräsentierte. (völ, APA, 3.10.2016)