Polizei in der Stadt Kunduz, die immer wieder Ziel von Taliban-Angriffen wird.

Foto: APA / AFP / Bashir Khan Safi

Kunduz – Ein Jahr nach ihrer Blitzoffensive auf die nordafghanische Stadt Kunduz haben die Taliban erneut einen Angriff auf die Provinzhauptstadt gestartet. Gleichzeitig ist in der wichtigen Südprovinz Helmand der Bezirk Nawa an die Islamisten gefallen, während Präsident Ashraf Ghani am Dienstag zu einer internationalen Geberkonferenz nach Brüssel reisen wollte.

Die Attacke auf Kunduz erfolgte Montagfrüh, Sicherheitskräfte lieferten sich heftige Gefechte mit den Islamisten. Ein Behördensprecher sagte der Nachrichtenagentur AFP, die Aufständischen hätten bereits wieder aus einem Distrikt vertrieben werden können. Die Taliban nutzten Wohnhäuser als Unterschlupf. Demnach befanden sich die Angreifer im südlichen Teil von Kunduz, auch in der Nähe des regionalen Krankenhauses.

Angriffe aus vier Richtungen auf die Polizei

Taliban-Sprecher Sabihullah Mujahid erklärte, die Islamisten hätten am frühen Morgen aus vier Richtungen angegriffen. Dabei seien zahlreiche Soldaten getötet worden. Außerdem hätten sie vier wichtige Polizei-Kontrollpunkte erobert und machten "schnelle Fortschritte".

Die Taliban hatten Kunduz am 28. September 2015 in einer Blitzoffensive erobert. Die afghanischen Sicherheitskräfte konnten die Stadt erst nach Tagen mit internationaler Unterstützung zurückerobern. Mitte Oktober zogen sich die radikalislamischen Kämpfer endgültig aus ihr zurück. Die Sicherheitslage blieb jedoch instabil.

Den Angriff in Helmand bestätigte ein Senator der Provinz. Die Aufständischen hätten das gleichnamige Bezirkszentrum von Nawa in der Nacht attackiert. In der Früh seien das Gebäude der örtlichen Regierung, die Polizeiwache und der Markt in ihre Hände gefallen. Die Gefechte dauerten an, der Polizeichef des Bezirks sei getötet worden. Nawa liegt nahe der Provinzhauptstadt von Helmand, Lashkargar.

Herz der Opiumindustrie

Die Taliban kämpfen seit Monaten um mehr Territorium in der strategisch wichtigen Provinz. Sie kontrollieren mindestens fünf der 14 Bezirke vollständig und weitere sechs teilweise. Helmand ist das Herz der milliardenschweren illegalen Opiumindustrie des Landes und eine Talibanhochburg.

Bei der Explosion einer an einem Motorrad befestigten Bombe wurden in der nordafghanischen Provinz Jausjan sechs Menschen getötet und mehr als 30 verletzt. Das sagte der Polizeisprecher der Provinz am Montag. Die Bombe sei am Morgen gegen 10.30 Uhr auf einem belebten Markt im Bezirk Darsab gezündet worden. Bisher hat sich keine Extremistengruppe zu der Tat bekannt. Die Polizei nimmt an, dass auch hinter diesem Anschlag die Taliban stecken.

Staatschef Ghani hofft bei der Geberkonferenz in Brüssel am Dienstag und Mittwoch auf Geldzusagen der internationalen Gemeinschaft bis 2020, um das kriegszerstörte Land wiederaufzubauen. Neben EU-Ratspräsident Donald Tusk nehmen unter anderen US-Außenminister John Kerry und UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon teil. Vertreter von bis zu 70 Regierungen und 30 Organisationen werden über die Hilfe für Afghanistan bis Ende 2020 entscheiden. Es wird erwartet, dass sie sich verpflichten werden, dem Land jährlich mehr als drei Milliarden Euro zukommen zu lassen.

Taliban kritisieren Ungleichheit

Die Taliban kritisieren die Konferenz: In einer am Montag per E-Mail versandten Stellungnahme hieß es, keine der vielen bisherigen Konferenzen habe den Afghanen auch nur im Mindesten etwas gebracht. Sie hätten bloß die astronomische Lücke zwischen Arm und Reich vergrößert.

Im September hatte die Regierung in Kabul ein Friedensabkommen mit dem berüchtigten islamistischen Milizenführer Gulbuddin Hekmatjar geschlossen. Menschenrechtsaktivisten kritisieren, dass die Einigung Hekmatjar Schutz vor Strafverfolgung gewährt. Andere Beobachter werten den Vertrag dagegen als wichtigen Schritt zu einer Friedenslösung für Afghanistan.

Die vom Westen unterstützte afghanische Regierung versucht seit Jahren, auch einen Frieden mit den Taliban auszuhandeln, die für die meisten Angriffe am Hindukusch verantwortlich sind. (APA, 3.10.2016)