Warum stehen in Wien Bücherregale im Freien?

Foto: Matthias Cremer

Wien – Was braucht man, um sich an einem Ort zugehörig zu fühlen oder um sich mit einer Stadt positiv zu identifizieren? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das Projekt "You are here Vienna", das nach dem Motto "How to be(come) a local" einen Stadtführer "für alle" gestalten will. Der City Guide soll nicht nur in vier Sprachen verfasst sein – Englisch, Arabisch, Farsi und Deutsch –, sondern Einträge beinhalten und Fragen beantworten, die für Ortsansässige und Zugezogene gleichermaßen interessant sein können.

Man wolle "wegkommen von der Trennung zwischen Migranten, Flüchtlingen und Einheimischen", sagt Projektinitiatorin und Designerin Sabine Ballata. In Anlehnung an die britische Schriftstellerin und Fotografin mit nigerianischen und ghanaischen Wurzeln, Taiye Selasi, die sich mit dem Gefühl der Ortszugehörigkeit (locality) auseinandersetzt, geht es laut Ballata um die Frage: Don't ask me where I'm from, ask me where I'm local. (Fragen Sie mich nicht, wo ich herkomme, sondern wo ich hingehöre.)

Hintergrund und Erfahrungen

Neben klassischen Reiseführereinträgen zu Sehenswürdigkeiten und Museen in Wien soll "You are here Vienna" auch Informationen zu Themen wie Wohnen und Jobs enthalten: Wie beantrage ich ein Studentenvisum? Wie funktioniert ein Asylverfahren? Wie kann ich mich selbstständig machen? Der Guide solle aber auch "mehr Hintergrund" bieten, indem etwa Zugezogene ihre Erfahrungen teilen: Was passiert, wenn ich ein bestimmtes Dokument nicht parat habe?

In einer weiteren Kategorie soll es um Alltagsthemen gehen: etwa Radfahren (Wo kann ich es lernen? Wie funktionieren Citybikes?), Hunde (Was mache ich, wenn ich Angst vor Hunden habe?) und Essen (Wo bekomme ich internationale Lebensmittel?).

Persönlichkeiten kennen

Auch Details aus dem Wiener Stadtleben sollen beleuchtet werden; etwa wer Sisi war und warum sie "überall abgebildet" ist. "Man fühlt sich komisch, wenn man nicht weiß, wer jemand ist, über den alle reden", sagt Ballata.

Auf Instagram ist bereits ein Themenanriss zu finden: So wird dort etwa erklärt, wo in Wien man Eichhörnchen live erleben kann und warum Regale mit Büchern im Freien auf dem Gehsteig stehen.

Die Inhalte sollen "gemeinschaftlich" zusammengestellt und später in Form von Artikeln aufbereitet werden. Neben den sozialen Medien, wo Menschen aufgefordert werden, Themen vorzuschlagen, betreibt "You are here Vienna" im Rahmen der Vienna Design Week eine temporäre Redaktion in der Zentagasse in Wien-Margareten. Beim "Langen Tag der Flucht" am vergangenen Freitag wurden auch Workshops für Schülerinnen und Schüler angeboten. Diese sollten sich als Redakteure versuchen, Interviews mit Menschen in der Nachbarschaft führen und bei Spaziergängen mögliche City-Guide-Inhalte aus dem Bezirk zusammentragen.

Die ersten Einträge sollen in den nächsten Tagen online gehen. Der Reiseführer ist kostenlos, denn es solle dabei nicht "ums Geldausgeben" gehen, wie es bei klassischen City Guides der Fall sei. (Christa Minkin, 4.10.2016)