Der Künstler und die Frauen: Noah Saavedra als Schiele.

Foto: Thimfilm

Wien – Folgt man Egon Schieles Selbstauskünften in Dieter Berners Künstlerbiopic, so müsste Egon Schiele – Tod und Mädchen eigentlich ein waschechter Arbeiterfilm sein. "Ich geh da nicht zum Vergnügen hin, das ist meine Arbeit", weist der Künstler (Noah Saavedra) seine Schwester Gerti (toll: Maresi Riegner) zurecht, als er mal wieder abends in den Prater abzieht. Er sammelt dort Kontakte, findet in "lebenden Bildern" Aktmodelle und verteilt Visitenkarten. Da Schiele gerne mal mit seinen Modellen schläft, die gelegentlich auch als Assistentinnen eingespannt werden, ist selbst das Liebesleben mehr als Vergnügen. "Arbeiten wir schon?", fragt einmal Wally Neuziel (Valerie Pachner), Muse und Geliebte, während sie mit der Hand in Schieles Hose zugange ist – "Ich arbeite immer".

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Die nicht weiter entwickelten Gegenwartsbezüge (der Künstler als Vorbote neoliberaler Verhältnisse?) verlieren sich in Schieles abgegriffenem Künstlerpathos und in den Konventionen des Historienfilms. Man sieht zwar: Der Kunstsammler war schon damals nicht der angenehmste Mensch. Und wenn der ältere Kollege und Mentor Klimt im Gespräch über Ausstellungsmöglichkeiten betont, dass "international auch wichtig wär'", dann klingt das wie eine Floskel des globalen Betriebs.

Regisseur Dieter Berner scheint sich nur weder fürs Kunstsystem noch für die Kunst sonderlich zu interessieren. Der Öffentlichkeit und der realen "Arbeit", dem Zeichnen und Malen wie auch dem fertigen Produkt räumt der Film so gut wie keinen Platz ein. So kommt Schieles erotisch aufgeladene Kunst erst dann ins Spiel, wenn sie Künstler und Modell in Beziehung setzt. Wiederholt sieht man den Maler beim Dirigieren von Posen: wie er hier einen Arm biegt, dort einen Kopf dreht. Vor allem ist Egon Schiele – Tod und Mädchen also ein Film über Schiele und die Frauen. Grundlage ist Hilde Berges Roman Tod und Mädchen mit ebendiesem Untertitel.

Die Erzählung erstreckt sich über einen Zeitraum von zehn Jahren. Ausgehend von einer Rahmenhandlung, in der Gerti den schwerkranken Bruder pflegt – Schiele stirbt 1918 mit nur 28 Jahren an der Spanischen Grippe -, entfalten sich Rückblenden, die gegen Ende immer gehetzter wichtige Stationen im Leben des "Wiener Modernen" abklappern.

Trotz "Nackerter" zu keusch

Konturiert werden sie von den zentralen Frauenfiguren: Gerti, Egons erstes Modell und engste Vertraute, deren Platz bald von Moa, einer schwarzen Varietékünstlerin eingenommen wird, das "Probierfräulein" Wally, zeitweilige Lebensgefährtin und Modell der meisten Arbeiten Schieles, darunter auch des berühmten Gemäldes Tod und Mädchen. Schließlich die bürgerlichen Schwestern Adele und Edith Harms – Letztere heiratet Schiele aus wenig romantischen Gründen. Als der Krieg beginnt, wird er einberufen, die Ehe verschafft ihm ein paar Annehmlichkeiten.

Von Schieles immer wieder in Szene gesetzter Leidenschaft lässt sich Egon Schiele nicht affizieren. Die Bilder haben einen Hang zum Gediegenen und trotz der "Nackerten" ist der Film nicht nur schmuddelfrei, sondern geradezu hochkeusch und gänzlich unkörperlich. Dabei hatte Schiele zu Lebzeiten einen ausgesprochen schlechten Ruf. Seine wilde Ehe galt als anstößig, auch die Besuche von Kindern in seinem Atelier im kleinstädtischen Krumau wurden mit Argwohn beobachtet. 1911 stand der Künstler wegen Missbrauch und Kindesentführung vor Gericht, verurteilt wurde er schließlich wegen "Verbreitung unsittlicher Zeichnungen".

Berner nimmt auch dieser skandalumwitterten Episode jede gesellschaftliche Perspektive und verkürzt sie auf die private Dimension eines Liebesbeweises: Wally rettet Egon mit einer Falschaussage. (Esther Buss, 4.10.2016)