Über die Mutmaßungen des Verfassungsrichters Johannes Schnizer, wonach "einer der Wahlwerber entschlossen war, den Sieg des anderen nicht zu akzeptieren" und die Wahlanfechtung vorbereitet gewesen sei "aufgrund von Mängeln, die offenkundig den Wahlbeisitzern dieses Kandidaten bekannt waren", aber von diesen toleriert wurden, kann man lange diskutieren.

Man kann die Diskussion aber auch abkürzen, indem man die Aussage eines FPÖ-Wahlbeisitzers aus Gänserndorf zitiert: "Nach Rücksprache mit dem Bezirksobmann verzichteten wir, aufgrund des überraschend guten Ergebnisses für Ing. Hofer, auf die Protokollierung der Missstände in der Niederschrift."

Anlass zu weitaus spannenderen Debatten gäben andere, im Interview mit dem Falter geäußerte Ansichten des redlich redseligen Richters. Diese lassen darauf schließen, dass die aktuelle Modetorheit "postfaktisches Denken" bereits den VfGH erreicht hat. Die in der Bundesverfassung eigentlich klar formulierte Vorgabe, dass "einer Wahlanfechtung stattzugeben ist, wenn die Rechtswidrigkeit erwiesen wurde und auf das Verfahrensergebnis von Einfluss war", wurde von den Höchstrichtern nicht nur im Sinne eines Vorrangs der Möglichkeit vor der Wirklichkeit geradezu poetisch interpretiert, sondern letztlich glatt ignoriert. Zu dieser Erkenntnis kommt eine Untersuchung der Mathematiker Walter Schachermayer und Erich Neuwirth, die ausgerechnet haben, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass die von Rechtswidrigkeiten belasteten Briefwahlstimmen das Ergebnis der Wahl zugunsten von Norbert Hofer gewendet hätten. Nämlich exakt 0,000000013 Prozent. Das ist tausendmal unwahrscheinlicher als ein Lottosechser. Oder anders formuliert: So, wie wenn Felix Baumgartner den Nobelpreis bekommt, Robert Lugar Uno-Generalsekretär wird und der KSV Ankerbrot die Champions League gewinnt – und zwar gleichzeitig.

Dieses mathematische Faktum wird von Herrn Schnizer als "irrelevant" bezeichnet. Darüber sollte sich die FPÖ freuen, zumal auch der von ihr angekündigte Nachweis von Stimmmanipulationen noch immer auf seine Ankunft im Faktischen wartet.

Das Verharren in der Welt der Möglichkeiten kann überhaupt als Erfolgsgeheimnis dieser Partei gesehen werden. Eines der beeindruckendsten Dokumente dafür ist die auf dem Parteitag 2011 von H.-C. Strache vorgelegte und bis zum heutigen Tag nicht widerrufene Ministerliste einer künftigen, von ihm angeführten Regierung. Die Umsetzung dieses Schattenkabinetts geriet in der Vorwoche ernsthaft in Gefahr, als der von Strache als Finanzminister vorgesehene Harald Dobernig zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde. Doch vor dem Problem stehend, einen Angelobungstermin mit einem Hafturlaub zu koordinieren, dürfen sich die Blauen wieder über Unterstützung der Justiz freuen, um das Unmögliche möglich zu machen. Dank seines Last-Minute-Geständnisses erhielt Dobernig nur acht Monate unbedingt, wodurch er gute Aussichten auf das Tragen einer Fußfessel hat. Das wiederum eröffnet ungeahnte Chancen für eine wahrhaft freiheitliche Zeichensetzung: Noch nie zuvor hätte Österreich einen derartig heimatverbundenen Minister gehabt. (Florian Scheuba, 5.10.2016)