Premier Giorgi Kwirikaschwili führt die aktuelle georgische Regierung. Sein 2012 als Parteibündnis angetretender "Georgischer Traum" stellt sich diesmal als Einzelpartei der Wahl. Das Bündnis ist längst zerfallen. Bei der Wahl vor vier Jahren hatte es eine scharfe Konfrontationslinie gegeben zwischen der "Vereinigten Nationalen Bewegung" (VNB) des damaligen Staatspräsidenten Michail Saakaschwili, die nach der prowestlichen Rosenrevolution 2003 an die Macht gekommen war, und dem "Georgischen Traum" des Milliardär Bidsina Iwanischwili.

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Die Georgier fühlen sich als Europäer, sagt Sammut. Nach dem Krieg mit Russland um die abtrünnigen Gebiete Südossetien und Abchasien wandte sich Georgien noch stärker der EU und der Nato zu.

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Im Wahlkampf mischten auch Personen mit, die gar nicht zur Wahl stehen, wie der frühere Präsident Michail Saakaschwili, der in der Ukraine lebt und in Georgien per Haftbefehl gesucht wird. Er soll sich immer wieder von außen und im Hintergrund eingemischt haben.

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Seine aus den Niederlanden stammende Frau Sandra Roelofs kandidiert bei der Parlamentswahl für Saakaschwilis Partei "Vereinigte Nationalbewegung" (VNB).

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Bidsina Iwanischwili ist Gründer des "Georgischen Traums" und zog sich 2013 aus der Politik zurück. Im Wahlkampf war er häufiger Gast in Politdiskussionen als die Spitzenkandidaten.

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Am Samstag wird in Georgien ein neues Parlament gewählt. Dass die Ex-Sowjetrepublik im Südkaukasus danach weiterhin einen Kurs der EU- und Nato-Annäherung verfolgt, wie es sich der Großteil der Bevölkerung wünscht, ist zu erwarten. Die Zersplitterung der Parteienlandschaft deutet aber auf eine schwierigere Mehrheitsbildung hin, sagt der Politologe Dennis Sammut, Direktor des Londoner Thinktanks Links.

Die Versprechungen des 2012 als Parteibündnis gewählten "Georgischen Traums" hätten sich nicht erfüllt, sagt Sammut. Vor allem auf dem Land seien die Menschen enttäuscht über die wirtschaftliche Schieflage. Eine gute Nachricht für Georgien sei aber, dass der Wahlkampf im Vergleich zur Vergangenheit sehr ruhig verlaufen sei.

STANDARD: Sie waren in den vergangenen Jahrzehnten Wahlbeobachter und sind auch derzeit in Tiflis. War der aktuelle Wahlkampf transparenter als in den Jahren zuvor?

Sammut: 2012 war Georgien eines der ersten postsowjetischen Länder, in denen es einen Machtwechsel an den Urnen gab. Die aktuelle Regierung hat in den letzten vier Jahren einige wichtige Reformen durchgeführt, beispielsweise im Justizbereich. Augenscheinlich stehen in Georgien dieses Mal gut organisierte und freie Wahlen bevor. In der Vergangenheit hat es zahlreiche Probleme mit dem Wählerverzeichnis gegeben. Diesmal habe ich keinerlei Beschwerden darüber gehört. Das ist eine gute Nachricht für Georgien.

STANDARD: Allerdings gab es auch Zwischenfälle. Zum Beispiel wurde unlängst auf Ex-Verteidigungsminister Irakli Okruaschili geschossen. Wie ordnen Sie das ein?

Sammut: Es hat einige wenige Zwischenfälle gegeben, ja. Alle müssen lückenlos aufgeklärt werden. Georgien kann sich hier keine Toleranz leisten. Aber so ernst man diese Geschehnisse auch nehmen muss, sie spiegeln nicht die allgemeine Situation wider, die diesmal wirklich vergleichsweise entspannt ist.

STANDARD: Wie ist die Ausgangsposition dieses Mal? Das Parteibündnis, das hinter dem bisher regierenden "Georgischen Traum" stand, hat sich mittlerweile aufgelöst, die Partei tritt als Einzelpartei an.

Sammut: Diesmal wird es sicher kein Zweierrennen werden wie beim letzten Mal. Zwar sind der "Georgische Traum" und die "Vereinigte Nationalbewegung" (Partei von Ex-Präsident Michail Saakaschwili, der wegen Amtsmissbrauchs per Haftbefehl gesucht wird, Anm.) immer noch die stärksten Parteien. Aber einige andere haben ebenfalls gute Chancen, die Fünfprozenthürde zu überschreiten. Zum Problem könnte dann werden, eine arbeitsfähige Mehrheit zustande zu bringen.

STANDARD: Eines der Hauptthemen im Wahlkampf war das Wirtschaftswachstum, das die Regierung um "Georgischer Traum" versprochen hatte. Das Versprechen konnte nicht gehalten werden.

Sammut: Das fehlende Wirtschaftswachstum, die ausgebliebenen versprochenen Arbeitsplätze sind ein großes Problem. Vor allem in den ländlichen Gegenden sind die Menschen enttäuscht von der Performance der Regierungspartei. Ein Zeichen dafür, dass sich die Regierung dessen nur zu bewusst ist, ist die Ernennung des Ökonomen Giorgi Kwirikaschwili zum neuen Premier nach dem Rücktritt von Irakli Gharibaschwili im Dezember. Wer auch immer die Wahl nun gewinnt, muss aber neue und vor allem engagiertere Wirtschaftsstrategien auf den Tisch legen.

STANDARD: Die Regierung hat erst kürzlich ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet.

Sammut: Das Abkommen gilt seit 1. Juli, und es gibt hohe Erwartungen, dass es ein Katalysator für die georgische Wirtschaft ist. Das passiert natürlich nicht über Nacht.

STANDARD: Die EU wird in letzter Zeit immer instabiler. Die Idee einer Wertegemeinschaft scheint zu zerbröckeln, die Nationen rücken auseinander. Nehmen das die Georgier wahr?

Sammut: Für die Georgier ist Europa größer als die EU. Sie fühlen sich als Teil der europäischen Kultur. Der normale Georgier macht sich wegen Brexit oder Grexit keine Sorgen. Den interessiert höchstens, wann die nach den vielen Reformen von der EU in Aussicht gestellte Visaliberalisierung kommt. Studierende, Wirtschaftstreibende versprechen sich viele Vorteile von der europäischen Reisefreiheit.

STANDARD: Die Wahl gilt als auch als Abstimmung über die Annäherung Georgiens an EU und Nato. Wie dominant waren diese Themen im Wahlkampf?

Sammut: Die Regierung bekennt sich klar zu der Annäherung an die EU und die Nato. Einige Parteien positionieren sich klar gegen diese Strategie. Die Mehrheit der Georgier ist eigentlich proeuropäisch eingestellt. Aber diese Wahl wird noch einmal der ultimative Test dafür sein, wo die Georgier in dieser Frage stehen.

STANDARD: Sich EU und Nato anzunähern heißt natürlich gleichzeitig auch, sich von Russland zu entfernen.

Sammut: Russland hat nach wie vor großes Interesse an Georgien, am Kaukasus und an der gesamten postsowjetischen Region. Nach dem Krieg mit Russland im Jahr 2008 hat Georgien eine scharfen Schnitt gemacht und sich zur Abkehr von Russland entschieden. In den vergangenen Jahren war wieder eine vorsichtige Annäherung von russischer Seite zu bemerken. Und Georgien war so weise, diese Annäherung nicht harsch zurückzuweisen und eine sehr dosierte Partnerschaft zuzulassen. Die aktuelle Regierung hat die diplomatischen Kanäle wieder geöffnet, die Exportbeschränkungen wurden etwas gelockert. Russen besuchen Georgien wieder als Touristen. Die Feindschaft, die noch vor 2012 existierte, ist überwunden. Die Beziehungen bleiben aber trotzdem problematisch. (Manuela Honsig-Erlenburg, 7.10.2016)