Digitale Lerntools sollen die Bildungslandschaft revolutionieren: Lernen individueller, flexibler, spielerischer machen. Aber längst nicht alle profitieren davon.

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Einer der neuesten Trends in der Bildung heißt Virtual Reality. Mithilfe von Hightech-Brillen können Lernende virtuelle Ausflüge unternehmen, beispielsweise in Museen, zum Buckingham Palace oder dem Machu Picchu.

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Wer an der kalifornischen University of the People (UoPeople) studieren will, braucht dazu nur einen Computer, ein Tablet oder ein Smartphone. Einige Studierende lernen aber auch im Internetcafé, sagt UoPeople-Präsident Shai Reshef.

Seine Uni ist die erste gebührenfreie, akkreditierte Online-Universität weltweit – seit Mai dieses Jahres bietet sie nicht nur drei Bachelor-Programme, sondern auch ein MBA-Programm an. Wie das funktioniert? Die Studierenden treffen sich mehrmals die Woche in virtuellen Seminarräumen, wo sie Aufgaben gestellt bekommen und in Foren darüber diskutieren.

Die Lehrenden – die teils von renommierten Institutionen wie der New York University und der Columbia University kommen – greifen ein, wenn jemand einen Fehler macht, und antworten, wenn jemand eine Frage stellt. Bewertet wird mithilfe von Hausaufgaben und Quizzen, Wortmeldungen zählen positiv für die finale Note. Nur die Abschlussprüfung findet live statt, erklärt Reshef. Er verfolgt mit seiner Uni das Ziel, "Bildung für möglichst viele zu ermöglichen".

Revolution der Hochschulbildung

Darum ging es auch den Pionieren der Online-Bildung: Sebastian Thurn und Peter Norvig, Professoren an der Eliteuniversität Stanford, machten bereits 2011 ihr Seminar zum Thema künstliche Intelligenz kostenlos im Netz zugänglich. 160.000 Menschen aus 190 Ländern meldeten sich dafür an. Sie hörten drei Monate lang dieselben Vorträge, lasen dieselben Texte und absolvierten dieselben Übungen wie die Studierenden auf dem Campus. 23.000 bestanden die Abschlussprüfung und erhielten ein Zertifikat.

Den großen Erfolg erkannte Thurn als Potenzial, kündigte seinen Job in Stanford und gründete die auf Weiterbildung fokussierte Online-Uni Udacity. Das Ziel des Professors: das "elitäre" Hochschulsystem zu revolutionieren. Mittlerweile sind vier Millionen Menschen an der Udacity inskribiert. Studierende lernen über sogenannte Moocs (Massive Open Online Courses), frei verfügbare Online-Seminare.

Andere Anbieter folgten Thurns Beispiel. Auch einige traditionelle Hochschulen in den USA und Europa stellen mittlerweile ganze Seminare ins Netz. Viele haben jedoch Vorbehalte. Anlass für einige Beobachter, den aktuellen Wandel der Bildung mit dem Klimawandel zu vergleichen: einem langsamen, aber bedeutenden Prozess, von vielen – noch – unterschätzt.

Ganze Seminare im Netz

In Österreich sind die Universität Graz und die Technische Uni Graz Vorreiter der digitalen Lehre. Sie offerieren auf der Internetplattform "iMoox" (ausgesprochen "i mog's") Moocs zu unterschiedlichen Themen: italienische Aussprache, Entrepreneurship for Engineers oder Österreich und die Europäische Union. Die Online-Kurse bestehen wahlweise aus Video-Vorträgen, Quizze und Multiple-Choice-Tests. Wer einen Mooc erfolgreich abschließt, erhält ein Zertifikat. Diese können bis dato zwar erst teilweise für ein reguläres Studium angerechnet werden, der Anspruch ist aber auch primär, Bildung in breite Bevölkerungsschichten zu tragen.

Überzeugt vom Potenzial der Online-Bildung für mehr Chancengleichheit sind auch Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt, Bildungsexperten bei der deutschen Bertelsmann-Stiftung. Sie veröffentlichten vergangenes Jahr ein Buch mit dem Titel "Die digitale Bildungsrevolution". Endlich, heißt es darin, würden nicht länger Schulnoten oder Aufnahmeprüfungen darüber entscheiden, ob jemand studieren darf – an Moocs kann sich jeder versuchen.

Nachteil: Nur manche profitieren

Andere Experten bezweifeln wiederum den großen Nutzen digitaler Bildung für Benachteiligte. Von Kursen im Netz würden vor allem jene profitieren, die ohnehin schon privilegiert sind, heißt es. Die Politik möge lieber mehr Geld in die Hand nehmen und reguläre Studienplätze schaffen, "anstatt manche Studierenden ins Digitale auszulagern", sagt etwa Bildungsphilosoph Matthias Burchardt.

Ein weiteres Argument der Digitalisierungsskeptiker: Wer online lernt, sei dabei unkonzentrierter – zu groß ist die Ablenkung. Über die Kompetenz, mit digitalen Medien produktiv umzugehen, verfügen die meisten noch nicht.

Schließlich fehle es beim digitalen Lernen auch an der "pädagogischen Kraft der Präsenzsituation", sagt Pädagoge Burchardt. "Die Fragen an den Professor auf dem Gang fallen beispielsweise weg."

Vorteil: Lernen ist spielerisch

Die Bildungsexperten Dräger und Müller-Eiselt sehen das naturgemäß anders. Sie glauben, dass man online sogar noch besser lernt als analog. Der Grund: Das Lehrangebot kann personalisiert werden. "Mittels adaptiver Lernsoftware und intelligenter Algorithmen sind auf die Fähigkeiten und das Lerntempo des Einzelnen abgestimmte Aufgaben möglich."

Zudem verstärke das Spielerische den Lerneffekt. Zum sogenannten "Game-based Learning" forscht Bradley Wiggins, Associate Professor an der Webster Private University in Wien. Nicht nur die Motivation sei beim spielerisch angelegten Lernen höher, sagt Wiggins, auch könne man sich die Informationen besser merken. Darüber hinaus erhält man unmittelbares Feedback, auch das helfe.

Setzen sich Trends durch?

Digitale Varianten des Game-based Learning sind etwa Lernspiele: Simulationen, Quizze und "Serious Games" – die jüngste Erscheinungsform ist die sogenannte Augmented oder Virtual Reality: In diesen "digitalisierten Wirklichkeiten" können Nutzer mittels Programmen oder Datenbrillen Situationen virtuell durchspielen. Angehende Chirurgen können so zum Beispiel Eingriffe realitätsnah trainieren.

Studien, wie jener des deutschen Zentrums für Hochschulentwicklung, zufolge, werden die Tools jedoch noch kaum genutzt. Zu teuer die Anschaffung, zu kompliziert die Bedienung. Damit konterkarieren diese Tools auch eines der wesentlichen Ziele digitalen Lernens – Bildung für alle zu ermöglichen.

An der kalifornischen University of the People wird übrigens hauptsächlich mit Text gelehrt. Videos sind an der Online-Uni lediglich Zusatzmaterial. Schließlich soll das Studium auch mit Geräten mit weniger schneller Internetverbindung bewältigbar sein. (Lisa Breit, 14.10.2016)