Jörg Kalt ist in seiner Doku "Shops Around the Corner" als Interviewer präsent, fertiggestellt hat diese Nina Kusturica.

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Dieser Mann ist Robert De Niros Friseur.

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Wien – Zeit spielt in den Filmen von Jörg Kalt eine wichtige Rolle. In Richtung Zukunft durch die Nacht, seinem Abschlussfilm an der Wiener Filmakademie, läuft sie beispielsweise rückwärts, seine Hauptfigur Anna ist eine asynchron sprechende Filmstudentin. Seine Geschichten, so sagte Kalt einmal selbst, haben ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten.

Es verwundert daher auch nicht, dass Shops Around the Corner, der am Freitag zum Start einer Retrospektive im Filmarchiv seine Premiere feiert, eine spannende zeitliche Dimension hat.

Jörg Kalt reiste 1998 mit Kamerafrau Eva Testor nach New York. Dabei entstand das Material zu Shops Around the Corner, das er fast zehn Jahre später unbearbeitet und mit der Bitte, den Film fertigzustellen, an Nina Kusturica weitergab. Kurz darauf, im Jahr 2007, nahm sich Jörg Kalt das Leben. Und wieder vergingen fast zehn Jahre, ehe Kusturica seiner Bitte nachkam.

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An den Kreuzungen zwischen Little Italy und Chinatown in New York spielt der Dokumentarfilm, in dem Jörg Kalt auf dort ansässige Geschäftsleute trifft. Die italo-amerikanischen Shop-Besitzer sprechen ihre Sorgen an, erwähnen Ängste und Verschwörungstheorien, denen zunehmend auch Kalt selbst verfällt.

Regisseur und Protagonist

Als Interviewer ist der schweizerisch-österreichische Regisseur sehr präsent, auch in seinem zweiten New Yorker Dokumentarfilm, Living in a Box, der als Nebenprodukt seines Amerika-Aufenthalts entstanden ist.

Den Film über die Dauergäste eines Hotels, der auch in der Retrospektive zu sehen ist, hatte Kalt noch selbst fertiggestellt. Während hier jedoch nur seine Stimme zu hören ist, rückt ihn Kusturica in Shops auch selbst ins Bild. So ist es ein Porträt über Jörg Kalt geworden, das nebenbei dessen Verehrung für Martin Scorsese und Robert De Niro spürbar macht.

Beim Besuch des Friseurs De Niros kann Kalt deshalb auch nicht anders und nimmt an dessen Stelle im Salon Platz, um sich rasieren zu lassen. Auch hat der Besitzer einer Imbissbude eine verblüffende und für Kalt faszinierende Ähnlichkeit mit dem Schauspieler.

Nina Kusturica ist ein sehr berührender und amüsanter Film von und mit Jörg Kalt gelungen. Im Anschluss an die Premiere des Films wird heute das Porträt Kalt kocht im Foyer als Loop gezeigt, dazu werden Gerichte aus der Rezeptsammlung Kalts, der ein begeisterter Koch war, serviert.

Neben ausgewählten Kurzfilmen Kalts zeigt das Filmarchiv außerdem seinen letzten und einzigen Langfilm Crash Test Dummies. Als noch nicht gedrehte Filme bezeichnete Kalt einen Teil seiner Kolumnen, die er bis zu seinem Tod für die Schweizer Kulturzeitschrift Du verfasste. Einer ist nun doch zur Aufführung gelangt. (Katharina Stöger, 7.10.2016)