Im Chat mit einem Berater kommen Suizidgedanken prozentual häufiger vor als bei der Telefonberatung.

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Wer Hilfe in schwierigen Lebenslagen sucht, kann sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden. Die Einrichtung wird von der katholischen und evangelischen Kirche getragen und bietet seit 10. September auch Chat-Beratung im Internet an.

Im Gegensatz zur Beratung am Telefon unter der kostenfreien Nummer 142, müssen Chat-Termine vorerst gebucht werden. Möglich ist das über die Homepage www.onlineberatung-telefonseelsorge.at, auf der Ratsuchenden auch Kommunikation per E-Mail angeboten und eine Antwort binnen zwei Tagen zugesagt wird.

"Wir haben eine Kompetenz, die wir auch hier anbieten wollen", sagt Marlies Matejka, die Leiterin des Notrufdienstes in Wien, im Gespräch mit der APA. Sie verwies auf positive Erfahrungen in anderen Ländern: In Deutschland sei die Chat-Beratung der Telefonseelsorge sehr gut angenommen worden und auch in Norwegen gebe es eine sehr große Nachfrage.

130.000 Gespräche pro Jahr

Die Telefonseelsorge hat österreichweit rund 700 ehrenamtliche Mitarbeiter, die eine zumindest einjährige Ausbildung bzw. Vorbereitung absolviert haben. Wenigstens zehn von ihnen sind an neun Stellen – eine in jedem Bundesland – gleichzeitig im Einsatz. Pro Jahr werden mehr als 130.000 Beratungsgespräche geführt. 70 Mitarbeiter wurden mit Einführung der Beratung via E-Mail für diese Online-Beratung ausgebildet, 30 von ihnen nun auch für das Chatten.

"Vor allem junge Leute sind es gewohnt zu chatten", sagt Matejka. Ob Hilfesuchende mit Beratern lieber reden oder korrespondieren, scheint nämlich ein bisschen eine Frage des Alters zu sein: Der Großteil der Klienten am Telefon kommt aus der Altersgruppe der 40- bis 60-Jährigen. Rund zwei Drittel sind Frauen. Jene die schreiben, sind jünger. Die E-Mail-Klienten gehören überwiegend der Gruppe der 20- bis 40-Jährigen an und sind ungefähr zu drei Vierteln weiblich. In Österreich langen pro Jahr etwa 2.000 Online-Anfragen ein.

Weniger Scham, mehr Anonymität

"Schreiben schafft ein Stück Distanz zum Thema", erklärte Matejka. "Man muss Begriffe finden, wenn man einem anderen etwas erklären bzw. begreifbar machen möchte. Die Gedanken klären sich beim Schreiben." Außerdem bringt die schriftliche Kommunikation nach den Erfahrungen der E-Mail- und Telefonseelsorger noch mehr Anonymität und damit zusammenhängend weniger Scham. Themen, die noch immer mit Tabus behaftet sind, können dort leichter geäußert werden. Dazu gehören Homosexualität und Gewalt, aber auch Suizidgedanken, die prozentual häufiger vorkommen als bei der Telefonberatung.

Gestiegen ist die Zahl der Ratsuchenden, die unter psychischen Erkrankungen oder Störungen leiden. "Menschen mit Depressionen, Angststörungen, Psychosen, Suchterkrankungen oder Suizidgedanken machen bereits mehr als ein Drittel der Anrufer aus", berichtete die Sozialarbeiterin.

Die Telefonseelsorge hat, wie Matejka betont, kein psychotherapeutisches Angebot. Reden oder schriftlich kommunizieren kann man dafür mit einem "kompetenten Mitmenschen". "Zuhören kommt in unserer Gesellschaft anscheinend viel zu kurz", konstatierte die Wiener Leiterin des Notrufdienstes. (APA, 7.10.2016)